König Hassans Drogenkrieg

Marokko: Mit EG-Geldern gegen den Kif-Handel  ■ Aus dem Rif François Misser

Die marokkanische Mittelmeerküste zwischen Larache und Al Hocaima lebt derzeit in einem Zustand der Generalmobilmachung. 3.000 Soldaten, Polizisten und Zollfahnder sind Tag und Nacht auf Patrouille, ausgerüstet mit Radar, Hubschraubern und Flugzeugen. In den Häfen werden Container auf verdächtigen Inhalt untersucht. Schon auf der 60 Kilometer langen Küstenstrecke von Tanger nach Tetuan passiert man fünf Straßensperren.

Ziel der Operation ist, in einem Schlag den Schmuggel von kif (Cannabis) und seiner Derivate wie schira (Haschisch) sowie die illegale Auswanderung zu unterbinden. Den Startschuß gab Marokkos König Hassan II. am 7. Oktober des vergangenen Jahres mit einer Grundsatzrede. Fünf Monate später versichert Mohcine Darrab, Gouverneur von Tetuan: „Unsere Grenze ist dicht.“

Selbst die einfachsten Pensionen werden überprüft, ob die Gäste nicht vielleicht Durchreisende mit dem Ziel der Emigration sein könnten. Jede Schiffsbewegung muß deklariert und dem Heimathafen gemeldet werden. Damit sollen die Fischerboote, die früher illegale Migranten oder suspekten Stoff über die nur 14 Kilometer breite Straße von Gibraltar nach Europa transportierten, unter Kontrolle gebracht werden.

Die letzte Ausweisung illegaler Einwanderer aus Spanien nach Marokko fand im August 1992 statt, erklärt das marokkanische Innenministerium. Es handelte sich um etwa 70 Männer aus Mali, Niger, Senegal und Äthiopien. Sie wurden bei Tanger in Lager gesteckt und sind inzwischen zumeist in ihre Ursprungsländer zurückgeschickt worden.

Auch auf der Drogenfront werden Erfolge gemeldet. Seit November wurden keine größeren Mengen mehr im Hafen von Tanger beschlagnahmt. Aber noch immer werden hier die schweren Lastwagen aus Spanien, Italien, den Niederlanden, Frankreich und Deutschland minutiös inspiziert. Die Drogenfunde der letzten Jahre stammten zu 90 Prozent aus solchen Transportern.

Im Dezember wurde in Casablanca Amar Mizzian verhaftet, den die spanische Polizei den „Haschisch-Sultan“ nennt. Er soll, so die spanischen Behörden, 80 Prozent des Haschischhandels in Richtung EG kontrolliert haben. Die Bedeutung der Festnahme wird deutlich, wenn man sich vor Augen hält, daß im Jahre 1991 nach Interpol-Angaben 27 Prozent des weltweit beschlagnahmten Haschischs aus Marokko kam.

Im Hafen von Casablanca und anderen Städten wurden auch in den letzten Monaten weiterhin große Mengen Haschisch beschlagnahmt. Die Tendenz sei fallend, erklären die Behörden. Das deute darauf hin, daß die Dealer kalte Füße bekommen hätten.

Lohnt sich der Aufwand in diesem Kampf gegen eine Droge, die in Madrid und Amsterdam völlig legal genossen werden kann? Marokkanische Drogenfahnder antworten darauf, daß die marokkanischen Haschisch-Handelswege in den letzten Jahren auch von der kolumbianischen Kokainmafia genutzt wurden. Drogen und illegale Auswanderer „beschmutzen das Bild Marokkos“, sagt einer.

Drogenboom in den Bergen

In den Bergen des marokkanischen Rif ist der Genuß von kif eine jahrhundertealte Tradition. Gemischt mit Tabak, wird das Kraut in der sepsi-Pfeife geraucht, oft zusammen mit einem thé à la menthe. Anfang der 80er Jahre litten die Bauern des Rif unter einer schweren Dürre. Zu dieser Zeit kamen Dealer aus den Städten und boten den Bauern Lebensunterhalt für ein Jahr. Sie müßten als Gegenleistung nur die Droge anbauen und die Ernte abliefern.

Die Produktion von kif stieg daraufhin rapide an. Auf 30.000 Hektar wird es heute nach offiziellen Angaben angebaut, zehnmal mehr als vor zehn Jahren. Es wächst nicht auf großen Flächen, sondern unter Bäumen oder in Maisfeldern versteckt, so daß eine genaue Übersicht nicht möglich ist.

Marokkos König Hassan II. hat der EG ein Substitutionsprogramm vorgeschlagen, das sich auf insgesamt zwei Milliarden Dollar (3,2 Milliarden DM) über fünf Jahre erstreckt; vor kurzem gab EG-Kommissionspräsident Jacques Delors bei einem Marokko-Besuch dafür prinzipiell grünes Licht. Vorgesehen sind Investitionen in der Infrastruktur und Alternativprodukten wie Früchte und Oliven, dazu der Ausbau von Fischerei und Bergbau.

Die Erfolgschancen sind gering. Das Kilo kif bringt dem Bauern 150 DM — zwanzigmal mehr als das Kilo Mandeln, häufigstes Substitutionsprodukt. Für den Bauern ist es ein Vermögen, im Verhältnis zu den Handelsspannen jedoch winzig: 98 Prozent der Gesamtumsatzsumme im Drogenhandel von jährlich drei bis vier Milliarden DM bleibt in den Händen diverser Zwischenhändler. Das Drogengeschäft bringt dem Land nicht weniger Devisen als die Überweisungen von Emigranten in Europa.

Es wird also nicht leicht sein, die traditionell aufständischen Bauern des Rif von der Droge wegzubekommen. Pilotprojekte in Issaguen, nahe der „Kif-Hauptstadt“ Kettama, zeigen die Schwierigkeiten. Bauern, die Fruchtbäume statt kif anbauen, erhalten nur noch ein Drittel ihres früheren Einkommens, erklärt Ahmed Chbichab, Leiter des Programms für Ländliche Entwicklung im Rif. Sie müßten über mehrere Jahre hinweg von Lebensmittelspenden leben, bevor die ersten Früchte geerntet werden können. Langfristig sei auch eine Ausweitung der bewässerten Agrarflächen nötig, ein verstärkter Kampf gegen die Erosion, der Bau von Schulen, Gesundheitszentren und Straßen.

Wächter der „Festung Europa“

König Hassan II. träumt davon, Marokko zum privilegierten Partner Europas zu machen. Er möchte nach dem Jahr 2000 mit der EG eine Freihandelszone bilden, in der europäische Investoren mit steuerlichen Vergünstigungen angelockt werden. Das würde Arbeitsplätze schaffen und damit den Wanderungsdruck Richtung Europa verringern. Das Sicherheitsaufgebot der letzten Monate zeigt: Marokko ist bereit, im Gegenzug als Wächter der Südpforte der „Festung Europa“ zu dienen, als Verbündeter in einer Region voller Unsicherheiten: wachsender Wanderungsdruck aus Schwarzafrika, wachsende politische und wirtschaftliche Krise im benachbarten Algerien. Dann könnten, so das Kalkül, die Regierungen Europas dazu bewogen werden, in delikaten Menschenrechtsangelegenheiten oder der noch immer schwebenden Westsahara-Frage die Augen zuzudrücken.