„Sozialist“ Clinton will Jelzin helfen

■ US-amerikanische Unterstützung nicht ohne Vorbehalte

Washington (taz) – Was immer das Verhältnis zwischen den USA und Rußland derzeit prägen mag, ein Übermaß an gegenseitiger Sympathie der beiden Präsidenten ist es nicht. Wenn Boris Jelzin am 3. und 4. April mit Bill Clinton im kanadischen Vancouver zusammentrifft, dann muß er zuerst Mißstimmungen aus Zeiten des US- Wahlkampfs bereinigen. Damals, im Juni letzten Jahres, hatte der russische Präsident während seines Gipfeltreffens mit George Bush keinen Hehl daraus gemacht, daß er von einem Wahlsieg Clintons wenig begeistert wäre. Zu jung und unerfahren sei der Demokrat – und außerdem ein „Sozialist“, wie Jelzin später gegenüber seinen Beratern spöttisch bemerkte.

Der „Sozialist“ gibt sich dieser Tage alle Mühe, den Ex-Kommunisten gegen die Opposition in Rußland zu unterstützen. Im täglichen Rhythmus kommen Solidaritätsbekundungen für Boris Jelzin und seine Reformpolitik aus dem Weißen Haus. Am Montag unterstützte Außenminister Warren Christopher in einer Rede in Chicago Jelzins Plan eines Referendums, um die politische Krise des Landes zu lösen. Für seine Verhältnisse in ungewöhnlich eindeutiger Sprache bezeichnete Christopher die Hilfe für Rußland als außenpolitische Priorität. Sollte Rußland in „Anarchie und Despotismus“ verfallen, müßten auch die USA einen unabsehbar hohen Preis bezahlen. „Was auf dem Spiel steht, ist nicht mehr oder weniger als eine mögliche neue nukleare Bedrohung, höhere Rüstungsausgaben, wachsende Instabilität, der Verlust neuer Märkte und ein vernichtender Rückschlag für weltweite Demokratiebewegung“, sagte Christopher.

Diese Rhetorik sollte nicht zuletzt das Publikum, 800 Manager, Geschäftsdirektoren und Regierungsbeamte, auf das eigentliche Thema einstimmen: mehr Geld für Rußland. Die Hilfe der USA an Rußland soll für 1994 von 400 Millionen Dollar auf 700 Millionen aufgestockt werden – vorausgesetzt, der US-Kongreß stimmt zu. Bis zum Gipfel Anfang April will die Clinton-Administration ein Hilfspaket für Rußland geschnürt haben, wozu gegebenfalls die Auslandshilfe der USA umgeschichtet werden müßte. Finanzielle Hilfe soll sowohl für die Privatisierung der russischen Wirtschaft, als auch für den Abbau von Nuklearwaffen und die Ölindustrie geleistet werden. Letztere, so Christopher, könne enorm hohe Exporteinnahmen garantieren.

Vor allem aber wird in der Clinton-Amdinistration ein finanzielles „Sicherheitsnetz“ in Form von Unterstützungszahlungen diskutiert: Empfänger wären vor allem Kinder, Pensionäre, deren Rente von der Inflation weggefressen wird, sowie Arbeitslose. Das „Sicherheitsnetz“ soll von den Mitgliedsstaaten der G-7-Länder, der reichsten Industrienationen, getragen werden. Eine Version das Planes soll laut Bericht der Washington Post zehn Milliarden Dollar umfassen.

Völlig unklar ist jedoch, welches Mitglied der G-7-Gruppe wieviel an Hilfe zu zahlen bereit ist. Unklar ist bislang auch, ob Bill Clinton einen vorgezogenen Krisengipfel der G-7-Länder zum Thema Rußland unterstützt. Angesichts der oft peinlich dünnen Ergebnisse solcher Medienspektakel hält man es in Kreisen der Administration offenbar für besser, die Rußlandhilfe in Gesprächen unterhalb der Ebene der Finanzminister und Staatschefs zu diskutieren. Deren Zusammenkunft steht im Juli in Tokio an.

Bei aller demonstrativen Solidarität ist die Unterstützung der Clinton-Administration nicht vorbehaltlos. Man hat ihn zwar zum demokratisch gewählten Garanten des Reformprozesses erklärt und nimmt dabei auch in Kauf, daß er diesen Reformprozeß mit autoritären Mitteln vorantreibt. Doch gleichzeitig will man in Washington den Eindruck vermeiden, man halte Jelzin für den einzigen Reformer. In einer Fernsehsendung erklärte der demokratische Senator Sam Nunn, als Vorsitzender des Streitkräfteausschusses auch eine der zentralen außenpolitischen Figuren im Kongreß, daß die USA zwar Jelzin als demokratisch gewählten Präsidenten unterstützen müsse. Doch gleichzeitig müsse man auch mit „anderen Schlüsselfiguren“ reden. „Es gibt nicht nur Jelzin.“ So erhielt letzte Woche Valery Sorkin, Vorsitzender des russischen Verfassungsgerichtshofes, bei einem Besuch in Washington Gelegenheit zu einem Gespräch mit Präsident Clinton. Außerdem befaßt man sich in der US-Presse wie auch im Weißen Haus und im US-Außenministerium durchaus mit der Biographie des russischen Vizepräsidenten Alexander Ruzkoi – jener Mann, der voraussichtlich Präsident werde dürfte, sollte Jelzin stürzen.

Doch vorerst kann sich letzterer auf Hilfestellung aus Washington verlassen – auch bei der Wahl des Treffpunkts Anfang April. Sollte es sich für Boris Jelzin als zu riskant erweisen, Rußland zu verlassen, wäre Bill Clinton grundsätzlich bereit, nach Moskau zu kommen. Andrea Böhm