„Mit der Behinderung hausieren“

Nur weil ihr Sohn Epileptiker ist, wurde die Roma-Familie Jasarovski noch nicht ins mazedonische Skopje abgeschoben/ Sie hofft auf einen „Gnadenakt“ der NRW-Landesregierung  ■ Von Martin Winder

Michael Stoffels, Lehrer am Meerbusch-Gymnasium und Flüchtlingsrat im Kreis Neuss, versucht das Unmögliche. Wenn in den nächsten Wochen kein Wunder passiert, dann werden die Jasarovskis, eine vierköpfige Roma- Familie, dorthin abgeschoben, „wo sie hergekommen sind“: ins mazedonische Skopje. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Zirndorf hat mit Bescheid vom 25. Januar 1993 die Asyl-Antragsteller aufgefordert, „die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche zu verlassen“.

Die Jasarovskis sind nur aufgrund einer von ihren deutschen Unterstützern ertrotzten Gnadenfrist noch so lange geduldet, bis über ein noch laufendes Petitionsverfahren entschieden wird. NRW-Innenminister Schnoor hält sich in einem Brief an die Unterstützer mit einer persönlichen Stellungnahme zurück, verneint jedoch nicht die besondere Härte bei gerade dieser Familie, die seit vier Jahren in Meerbusch bei Düsseldorf lebt. Einer der beiden Söhne, der 16jährige Achmet Jasarovski steht wenige Monate vor seinem Hauptschulabschluß; der andere, Orhan, 13 Jahre, Epileptiker und aufgrund einer Kinderlähmung halbseitig gelähmt, hat einen Platz für die Gesamtschule in Aussicht. Orhan, der auf tägliche Medikamentierung angewiesen ist, droht bei Abschiebung ein gesundheitlicher Rückfall mit unabsehbaren Folgen. Erschwerend kommt hinzu, daß den Vater bei seiner Rückkehr wegen Wehrdienstverweigerung eine monatelange Gefängnishaft erwartet.

Mezdet Mustafa, ehemaliger TV-Redakteur des romasprachigen Programms im mazedonischen Staatsfernsehen und Vertreter der Roma-Initiative Romano Jekhetanipe (Roma-Einheit), verneint kategorisch, daß in Mazedonien eine medizinische Behandlung für den Jungen gewährleistet sei. Medikamente gebe es – wenn überhaupt – auf dem Schwarzmarkt für harte Westdevisen. An ambulante Behandlung sei nur bei Vorkasse in bar zu denken. Doch auch dann würde sie Roma-Patienten oft verweigert.

Das war schon 1989 so, als die Jasarovskis in die BRD kamen. Hier konnte der Junge zum ersten Mal behandelt werden. Inzwischen ist er „gut eingestellt“. Michael Stoffels: „In Jugoslawien hatte Orhan jede Woche drei bis vier epileptische Anfälle. Seit er behandelt wurde und regelmüßig seine Medikamente bekommt, kämpft er tapfer gegen seine manchmal schweren Kopfschmerzen.“

Auch Thomas Wiltberger, Sprecher der Düsseldorfer Staatskanzlei, fühlt sich bei der jetzigen Abschiebepraxis nicht wohl. Er räumt ein, daß nach seinem Kenntnisstand eine Fortsetzung der medizinischen Betreuung „nicht zu erwarten steht“. Bei einer Einschätzung der wachsenden ethnischen Auseinandersetzungen zwischen Mazedoniern und anderen vorwiegend muslimen Volksgruppen (dazu gehören auch die mazedonischen Roma) rät er jedoch zur Vorsicht. Es gebe gezielte Falschmeldungen in der mazedonischen und serbischen Presse über bosnische Flüchtlingslager bei Skopje, in die angeblich auch Roma einquartiert werden sollten.

Die abgeschobenen Familien erwartet kein heimischer Herd, sondern die Obdachlosigkeit und ein Leben unter der Armutsgrenze. Doch Nordrhein-Westfalens Innenminister weist in seinem Schreiben spitz darauf hin, daß die Familie Jasarovski ja auch nicht am sogenannten Reintegrationsprogramm der Landesregierung teilgenommen habe. Im Rahmen dieses Programms unterstützt die Landesregierung eine Musterhaus-Siedlung in Sutka bei Skopje.

„Reintegration“ muß für (mazedonische) Roma wie Hohn klingen. Der Junge ist inzwischen im Fach Deutsch besser als manche seiner Mitschüler. Er hat Freunde hier gefunden, ist für seine Klassenkameraden kein Fremder mehr. Er genießt seit vier Jahren endlich eine Normalität auf Zeit. Über seine Behinderung spricht er nur ungern. Seine Unterstützer tun es nun für ihn. In Erwartung eines möglichen „Gnadenaktes“ seien Scham und falscher Stolz fehl am Platze.

Michael Stoffels findet es jedoch inzwischen „nur noch widerlich, dauernd mit der Behinderung von Orhan hausieren gehen zu müssen“. Der rührige Unterstützer flüchtet sich immer öfter in galligen Sarkasmus. „Wenn Familien mit gesunden Kindern und gleichem Schicksal um Hilfe bitten, bleibt einem zur Zeit nur ein hilfloses Achselzucken.“

Denn noch darf abgeschoben werden. Noch ist kein Krieg in Mazedonien. Denn dann könnten so Leute wie die Jasarovskis auch dem Bundesamt in Zirndorf verständlich machen, daß bei Abschiebung für sie „eine konkrete Gefahr für Freiheit, Leib und Leben“ vorliegt. Doch die wahre Gefahr liegt ganz woanders: Wenn die Jasarovskis mit ihrer Petition Erfolg haben, kommen womöglich noch mehr „Leute wie die Jasarovskis“ auf die gleiche Idee...