Stürzt die Koalition über Bosnien ab?

■ Im Koalitionsstreit über die AWACS-Flüge ist keine Einigung in Sicht

Bonn (taz) – Als FDP-Fraktionschef Hermann Otto Solms gestern vormittag aus der Koalitionsrunde kam, tat er so, als sei nichts gewesen. AWACS? Da gebe es „keine neuen Dinge zu berichten“. Solms hatte recht, was Bonn betraf. Auch unmittelbar vor der erwarteten Entscheidung des Weltsicherheitsrates über militärische Schritte in Bosnien konnte die Bundesregierung nicht mehr bieten, als den Austausch altbekannter Argumente.

Nach wie vor will die Union die deutschen Besatzungsmitglieder an Bord der 18 NATO-Überwachungsflugzeuge AWACS mitfliegen lassen – auch wenn die Bundeswehrsoldaten dabei „Kombattantenstatus“ bekommen, weil sie für die alliierten Jagdflugzeuge die Feuerleitplanung machen. Solms beharrte dagegen auf der Rechtsauffassung der Freidemokraten. Bevor nicht „sichergestellt“ sei, daß das Grundgesetz deutsche Kampfeinsätze außerhalb des NATO-Gebietes erlaube, müßten die Deutschen die in Geilenkirchen bei Aachen stationierten AWACS-Maschinen verlassen.

„Vordringlich“ fand Solms es gestern deshalb, sich mit der SPD über eine Verfassungsänderung zu verständigen. Versuche, ein Gespräch zu arrangieren, seien im Gange. Doch von der SPD bekam Solms eine Abfuhr, bevor irgend jemand den Terminkalender gezückt hatte. So „hopplahopp“ innerhalb von zwei Tagen könne man doch nicht das Grundgesetz ändern, empörte sich Karsten Voigt, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Eine Drohung hatte Voigt für den Fall bereit, daß Deutsche ohne Grundgesetzänderung über Bosnien mitfliegen sollten. Dann, so bekräftigte er, werde die SPD unverzüglich Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einreichen. Voigt gab den schwarzen Peter gestern an die Regierung zurück. Die „Unsicherheit“, die sie im Nato-Bündnis mit ihrer unklaren Haltung schaffe, sei „schlimmer als ein frühes Nein“.

Technisch könnte die Nato diese Unsicherheit durchaus bewältigen. Ein Rückzug der deutschen Besatzungsmitglieder würde zwar „ernsthafte Auswirkungen“ haben, hieß es gestern in dem Geilenkirchener Geschwader. Soldaten aus anderen Nationen, die zur Not kurzfristig aus ihrer Heimat beordert werden müßten, könnten die Deutschen jedoch ersetzen. Solms sah deshalb in dieser Frage gestern „keine Schwierigkeit“. Mehr zu schaffen macht der FDP, vor allem aber CDU und CSU, der drohende Ansehensverlust bei den NATO-Mitgliedsstaaten. Die Union werde das Bündnis nicht „aus Gründen der Gesichtswahrung einiger deutscher Politiker“ beschädigen lassen, warnte der CDU/CSU-Fraktionsgeschäftsführer Jürgen Rüttgers. Außenminister Klaus Kinkel müsse nun Lösungsmöglichkeiten aufzeigen.

Wie diese Lösungen aussehen könnten, blieb gestern jedoch unklar. CDU-Generalsekretär Peter Hintze hatte den Bundeskanzler am Montag aufgefordert, die FDP- Minister im Kabinett notfalls überstimmen zu lassen. Eine solche Vorgehensweise legt gewöhnlich die Lunte an jede Koalition und deshalb war sich gestern auch Solms sicher, daß eine Überstimmung zumindest „gegenwärtig“ kein Thema sei. Da lag die Frage nahe, ob der neue Streit um AWACS die Koalition nicht doch ernsthaft belasten könnte? Solms lenkte ab. „Die Koalition arbeitet gegenwärtig gut zusammen“, erklärte er, „wir werden auch in dieser Frage eng zusammenarbeiten“.

Ein anderer FDP-Abgeordneter wurde deutlicher. „Die CDU muß sich überlegen, was sie will“, meinte er. Wolle sie eine deutsche Beteiligung an den AWACS-Flügen – oder wolle sie eine Beteiligung der CDU an der Regierung? Denn eins stehe doch fest, rechnen die Freidemokraten vor: In einer anderen Regierungskonstellation als der mit der FDP wäre ein deutscher Kampfeinsatz über Bosnien erst recht nicht durchzusetzen. Hans-Martin Tillack