: Die Barpianistin
■ Die junge Australierin Susan Philip unterhält in der Bar des Maritim-Hotels das fehlende Publikum mit unvergänglichen Schnulzen
Das Licht aus den rotbestofften Lampen ist gedämpft wie der Schritt im dicken Teppichboden. Links drückt eine mächtige Bar aus rötlich braunem Kunstholzfurnier, darüber zeigen batterieweise hängende Gläser ihren blanken Rand. Altrosa und Messing sind die vorherrschenden Farben. Auch Trinker fänden hier ihren Halt, an den Rückenlehnen der Barhocker beispielsweise. Im Raum verteilt verwaiste kleine Fauteuilgruppen mit Tischen aus rosa Marmor-Imitat. Sanft perlen einige klavierene Akkordbrechungen durch den Raum, von irgendwo schwebt eine gesunde Melodie. Ansonsten ist der Raum leer, ziemlich.
Etwa sechs Geschäftsleute verteilen sich im Raum und plaudern, plaudern lautstark. Die drei Keeper hinter der Theke klappern dazu mit den Cocktail- Shakern. Ein Lachen dann und wann. Hinter einem riesigen Konzertflügel verschanzt sitzt eine zierliche Person in der Ecke. Susan Philip heißt die Barpianistin, die hier sechs Wochen lang für Nachtclub-Atmosphäre sorgt, bevor sie weiterreist, in ein anderes Hotel an einem anderen Ort, oder für ein paar Wochen nach Edinburgh, wo die 27jährige Australierin ihre Zelte stehen hat.
Sie spielt einen Evergreen nach dem anderen Gassenhauer, sie greift in die Tasten, niemals zu voll, um niemanden mit Musik zu stören, und wo es geht, singt sie dazu. Dann wälzt sie sich hinter ihren Tasten und singt mit Hingabe, mit einer kraftvollen und beweglichen Altstimme, deren mächtiges Vibrato in den Höhen manchmal in ein Vicky Leandros-Hauchen kippt. Die Reaktion im Raum ist minimal, man plaudert, klappert und lacht. Manchmal, wenn sie aufhört mit einem Stück, klappt der ein oder andere höflich in seine Hände.
Es gefällt ihr, wochenlang in Bremen zu sein. Das ist schließlich ihr Beruf
Susan Philip ist schüchtern, und sie weiß, was sich gehört. Daß einer kommt, nur um ihr zuzuhören, das macht sie schon ein wenig unruhig. Ihr Vertrauen in die eigene pianistische Kompetenz ist nicht gerade übertrieben. Sie hat zwar, sagt sie, ein Repertoire von etwa 200 Stücken, die sie auf Wunsch abspulen kann, aber virtuose Glanzstücke seien von ihr als Pianistin nicht zu erwarten. Da ist sie zu selbstkritisch. Niemand verlangt von ihr so etwas. Wozu auch? Aber jedenfalls gefalle es ihr, hier zu spielen, sagt sie pflichtbewußt.
Manchmal, am Wochenende, sei mehr Publikum da, und dann gibt es auch eine Stimmung. Manchmal wird hier sogar getanzt, auf der kleinen Fläche unter der Discokugel, die sich langsam dreht und ungerührt ihre Lichttupfer im leeren Raum verteilt. Dann sagt sie noch, daß es ihr auch gefalle, wochenlang in Bremen zu sein. Das ist schließlich ihr Beruf.
Alles was sie von Bremen kennt, mag sie. Sie mag das Hotelzimmer, sie mag die Männer hinter der Bar, sie mag das Klima, sie mag die Kollegen, die in anderen Hotels einen ähnlichen Job tun.
Später im Gespräch, wenn sich so langsam die Zunge löst und die Gedanken, dann wird sie präziser. Eigentlich ist Susan Philip Sängerin, klassisch ausgebildet, deutschsprachig nur, was das Singen von Schumann-Liedern angeht. Das Klavierspielen hat sie sich in den letzten Jahren antrainiert, um von Jobs dieser Art leben zu können, aber ihr Herz hängt nicht daran.
Barmusik, so sagt sie dann, ist eine erstklassige Schule, man muß jeden Tag auf Abruf fit sein, man muß jeden Tag bereit sein, sechs Stunden bis etwa 2 Uhr in der Früh zu spielen. Disziplin erfordert das und Konzentration. Zweifellos. Und natürlich will sie nicht in dieser Schule sitzen bleiben. Susan Philip träumt von ihrem eigen Hit.
Wärend ihrer Aus-Phasen, wenn ihre Agentur sie nicht gerade in irgendein Hotel vermittelt, schreibt sie zu Hause in Edinburgh, wo das Klima noch schöner ist, an ihren Songs, sucht sich Musiker zusammen, macht Aufnahmen, produziert. Subtile Mainstream-Lieder, in denen sie ihre stimmlichen Qualitäten ausspielen kann, die harmonisch raffiniert gebaut sind und in einem leichten Latino-Beat schwingen.
Das ist nicht gerade originell, aber einen Markt dafür gibt es. Und Susan Philip ist nicht naiv genug, sich mit Haut und Haaren dieser Branche des Pop-Business zu verschreiben. Sie arbeitet daran, aber durch die Hotelspielerei verschafft sie sich die materielle Sicherheit, sich nicht an den Erfolg verkaufen zu müssen.
Voller Begeisterung erzählt sie von diesen Projekten und von ihrer Freude darauf, sich ihnen wieder widmen zu können, wenn das Engagement in Bremen vorrüber ist. Doch dazwischen liegen noch einige Stunden harter Arbeit, einige Stunden in der leeren Bar, wo von Zeit zu Zeit einmal ein Gast seinen Musikwunsch auf dem vorbereiteten Wunschzettelchen abgibt und der Pianistin die Entscheidung abnimmt, welches Lied sie nun spielen soll. Stunden, wo sie ihre Arbeit tut, ein Stück Ambiente, so gedämpft wie alles um sie herum, zeitlos, gesichtslos und austauschbar.
Eine Barpianistin.
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