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Die Öffentlichkeit ist viel bösartiger

Gespräch über Gewaltdarstellung mit den Regisseuren von „Mann beißt Hund“  ■ Von Christiane Peitz

taz: Seit der Zunahme der realen Gewalt in Deutschland gibt es hier eine heftige Diskussion über deren Darstellung in den Medien. Wieder einmal werden die Bilder verantwortlich gemacht für das, was sie zeigen. Wie würden Sie die Beziehung zwischen Gewalt und den Bildern davon beschreiben?

Rémy Belvaux: Die Gewalt kommt vor dem Kino. Die Leute spüren die Gewalt in sich selbst, sie haben Lust, sich zu schlagen. Die Leute gehen ins Kino, um sich abzureagieren.

André Bonzel: Es gibt solche und solche gewalttätigen Filme. Die einen machen auf gefährliche, ideologische Weise von der Gewalt Gebrauch, in dem sie mit den Trieben der Leute spielen, deren sie sich nicht bewußt sind. Darum geht es nicht in unserem Film, im Gegenteil. Wenn es Gewalt gibt, dann wird das reflektiert, allerdings nicht so sehr die Gewalt selbst, sondern das Zeigen von Gewalt. Deshalb gibt es auch bei uns gewalttätige Szenen, aber sie sind kein Selbstzweck.

Belvaux: Die Leute sind fasziniert vom Tod. Sie sind neugierig, ihn aus der Nähe zu sehen. Schließlich sterben wir alle mal, deshalb möchten wir uns den Tod auf ganz realistische Weise vorstellen können.

Nun gibt es ja Leute, die zum Beispiel im Fall der beiden Zehnjährigen aus Liverpool, die einen Zweijährigen getötet haben, sagen, diese Kinder hätten zuviel ferngesehen.

Belvaux: Ich habe Fernsehbilder gesehen von Leuten, die nach Lynchjustiz riefen und schrieen, diese Kinder müßten sterben. Ich glaube, die Öffentlichkeit ist viel gewalttätiger und viel bösartiger. Ein Pychoanalytiker meinte, die Kinder seien normal. Zehnjährige spielen nun mal Krieg, es sei ein Unfall gewesen, kein vorsätzlicher Mord. Der Fall hat mich an Fritz Langs Film „Fury“ erinnert. Darin wird ein Mann aufgrund einer Verwechslung fast das Opfer von Lynchjustiz. Wir haben alle eine sadistische Ader, als Kinder haben wir alle schon mal Kameraden wehgetan, und das hätte ganz leicht ausarten können.

Belvaux: Alle Welt interessiert sich doch für das, was in der Zeitung unter „Vermischtes“ steht. Wir hatten gerade in dieser Woche einen Fall in Belgien: Ein Polizist ermordet seine ganze Familie, einen Tag später begeht er Selbstmord. Eigentlich sind die Bilder von der Gewalt für die Gesellschaft ja eine Methode, sich abzureagieren und hinterher zu sagen, nein, das kann man nicht machen, und auf Gewalt zu verzichten. Sie sind heilsam; danach ist man wieder ruhig und artig.

Bonzel: Die Gewalt ist ja sehr filmisch. Das Kino ist einer der Orte, wo die Gewalt sich am harmlosesten äußert. Auf der Leinwand können die Leute töten, ohne daß es Folgen hat.

Benoit Poelvoorde: Das ist ein schönes Bild. Das Kino erlaubt einem, Böses zu tun, ohne sich schmutzig zu machen. Wenn man im Kino von heute Kämpfe sieht, wie bei Jean-Claude van Damme, und wenn dort Schläge ausgeteilt werden, klingt das so: Wutsch, peng, sst; großartig, sehr graphisch. Aber wenn ein Mensch nur einmal in seinem Leben einen wirklichen Faustschlag zu hören bekommt — das ist ein so schreckliches Geräusch, man kann es nicht reproduzieren: das Geräusch von brechenden Knochen. Oder ein Autounfall: Im Kino klingt das iuung, boing, brr, brr... Im Grunde klingt es sehr schön. Ein wirklicher Autounfall, das ist ein kurzes Quietschen und ein harter Aufprall. Es ist sehr viel organischer, stofflicher. Das Geräusch des Blechs, der Schock des Aufpralls hat nichts mit den Geräuschen des Kinos zu tun. Aber die Leute haben eine Abscheu vor den wirklichen Klängen. Es ist wie mit der Gewalt. Im Kino ist es faszinierend, wenn jemand sagt: „Du gehst mir auf die Nerven“, und Peng. Im Leben hingegen gibt es diese menschliche Distanz. Bei manchen ist die Distanz geringer, das steht dann in den Zeitungen.

Wenn die Bilder unschuldig sind, wozu nützen dann Filme über die Gewalt? Wozu dient „Mann beißt Hund“?

Belvaux: Wir beziehen Stellung zur Gewalt, üben Kritik am Journalismus. Es geht um die Faszination des Zuschauers, darum, daß das Kino den Tod und die Gewalt ästhetisiert. Dieses Paradox, daß das Kino das Furchtbare schön macht, hat uns interessiert, nicht der Mörder.

Bonzel: Wir hätten auch einen Film über einen Vertreter, einen Hausierer oder einen Klempner drehen können, eine dieser falschen Reportagen. Aber die Tatsache, daß wir einen Mörder genommen haben, führt es ins Extrem. Wenn jemand vor der Kamera getötet wird, stellt sich sofort die Frage, ob man das darf. Der Zweck der Kamera ist ja der, alles zu zeigen. Wir spielen damit, was man zeigen muß, was man nicht zeigen darf und was man gewöhnlich nicht zeigt.

Belvaux: Die Leute sehen gerne Reportagen über andere Leute, deren Laster und Schwächen. Über normale Personen, denen sie ähneln, die sie wiedererkennen, weil sie etwas mit ihnen gemein haben.

Poelvoorde: Abends, wenn es dunkel wird und der Tag versinkt, liebe ich es, in die erleuchteten Fenster der Häuser zu sehen. Man sieht die Möbel, die Kleider, wie die Leute leben. Unser Film ist so ein Fenster, nur daß man ein Verbrechen darin sieht. Wie „Fenster zum Hof“. Man nennt ja das Fernsehen ein Fenster zur Welt. Diese ganzen TV-Nachrichtenlogos, was verwenden sie? Eine Weltkarte. Ein Film über das Fernsehen, das einen Mörder filmt, ist also ein Film über das offene Fenster, den Voyeurismus und den versteckten Blick.

Bei der deutschen Erstaufführung des Films in Hof verließen die Besucher scharenweise das Kino. Was glauben Sie, warum sie gegangen sind?

Belvaux: Weil sie sich identifizieren, sie identifizieren sich einfach zu stark. Sie kriegen keine Distanz dazu. Das war auch auf französischen Festivals so.

Poelvoorde: Sie sind Voyeure, aber solche, die den Vorhang zuziehen in dem Moment, in dem sie das Licht anmachen.

Bonzel: Von mir aus können sie das tun, aber ich habe was gegen Leute, die sich die ganze Szene ansehen, zum Beispiel die Vergewaltigungsszene, die wohl am härtesten ist, und hinterher das Kino verlassen. Kaum einer geht am Anfang der Szene, sie warten bis zum Schluß. Sie möchten gerne sehen, was sie verabscheuen.

Gibt es Tabus? Bilder, die Sie nicht zeigen würden?

Poelvoorde: Wir haben doch alles gezeigt, oder nicht? Was wir vermeiden wollten, war, gefällig zu werden, etwas zu wiederholen, was schon mal da war. Zweimal dieselbe Art Verbrechen, das war ein Tabu für uns. Jedes Verbrechen sollte der Geschichte dienen und helfen, die Psychologie des Mörders zu entwickeln. Das war die einzige Zensur.

Gibt es Tabus für den Dokumentarfilm?

Bonzel: Es gibt keine Objektivität im Dokumentarfilm, keine authentischen Bilder von der Wirklichkeit. Die objektivsten Kameras sind die Überwachungskameras. Aber sobald eine Person filmt, gibt es einen Standpunkt. Der Mensch, der filmt, weiß, daß er gefilmt wird. Das wiederum wissen die Journalisten, es ist sehr leicht zu kriegen, was man will. Also manipulieren sie. Wer filmt, ändert die Wirklichkeit.

Belvaux: Auf der Filmhochschule drehte ich eine Reportage über eine ganz normale Person. Aber ich habe auf der Leinwand nur ihre Fehler gezeigt. Dieser Mann hatte auch seine Qualitäten, er war nett, aber aufgrund seiner Qualitäten machte er Fehler. Ohne es zu wollen, tat er zum Beispiel seiner Tochter weh. „Man bites dog“ ist eine Selbstkritik.

Poelvoorde: Der Mann war fasziniert von der Kamera, und machte deshalb lächerliche Dinge. Und nachdem Rémy (Belvaux) diese Lächerlichkeiten montiert hatte, wurde ihm klar, wie stark die Kamera wirkt. Aus dieser Erkenntnis entstand „Man bites dog“. Er sagt Pardon mit diesem Film, es ist wie eine Erlösung von der Schuld. Sehr katholisch, wie Scorsese. Die Leute denken, wir haben einen Film über die Gewalt gemacht, aber wir haben einen Film über das Kino gemacht und über den Mißbrauch der Bilder.

Wenn man weiß, daß die Bilder die Wirklichkeit ändern, welche Folgen hat das für die Arbeit?

Bonzel: Rémys Lehrer an der Schule sagte, er dürfe keine Dokumentarfilme mehr machen.

Poelvoorde: Aber er hat es besser gemacht, nämlich einen Spielfilm. Ich glaube, Rémy wird weiter Reportagen machen. Er hat etwas getan, was man nicht tun soll, jetzt wird er tun, was man tun muß.

Bonzel: Wenn man begriffen hat, daß es keine Ehrlichkeit der Bilder gibt, kann man versuchen, wenigstens ehrlich mit sich selbst zu sein, deutlich zu sagen: Seht, das ist mein Standpunkt.

Poelvoorde: Man kann das Leben eines Menschen nicht in fünf oder neunzig Minuten wiedergeben. Man braucht sich nur die Personen-Portraits im Fernsehen anzuschauen: Sie sind immer guter Laune, die Politiker sehen immer gut aus, sind menschlich. Es sind konstruierte Bilder.

Also wenn schon lügen, dann besser lügen?

Bonzel: Besser lügen, ja, besser als die andern.

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