: Doktor Elstes Anti-Frust-Rezept
■ SPD-Fraktionschef sagt, wo's langgehen soll: Weniger öffentliche Dienstleistungen, mehr Straßen, mehr Pavillondörfer
, mehr Straßen, mehr Pavillondörfer
Günter Elste würdigte das sorgsam angerichtete Schinkenbrot keines Blickes. Der SPD-Fraktionschef hatte Wichtigeres im Blick: die Zukunft der von Rezession und Schuldenberg bedrohten Stadt, die Zukunft des von Politikverdrossenheit geschüttelten Parlamentarismus, die Zukunft seiner wahlergebnisgebeutelten Partei und natürlich die eigene Zukunft als potentieller Voscherau-Nachfolger. Und alles, alles sieht gar nicht so düster aus..., wenn man sich nur nach jenen Rezepten richtet, die Elste am Mittwochabend über vier Stunden lang einer Handvoll Journalisten in den Notizblock diktierte. Sein Credo: „Besondere Lagen erfordern besondere Maßnahmen.“
Beispiel Wohnungsnot: Pavillondörfer für Wohnungslose, eilends aus dem Boden gestampft nach dem Muster der Asylunterkünfte. Niedrigere Standards im sozialen Wohnungsbau, dadurch kürzere Bauzeiten. Schluß mit allzu langwierigen Planverfahren. „Wenn das alles gesetzlich nicht geht, dann müssen die Gesetze geändert werden.“
Beispiel Verkehr: Vorfinanzierung der 4.Elbtunnelröhre, der Hafenquerspange, einer Nord-Ost- Umgehung. Und zwar mit städtischen Mitteln. „Der Bundesverkehrswegeplan ist an Verbindlichkeit nicht zu unterbieten.“ Kein Wort von Verkehrsvermeidung, Verkehrsberuhigung, wie sie noch der SPD-Parteitag im Februar gefordert hatte. „Zu akademisch, nicht die wichtigsten Probleme.“ Und der Personennahverkehr?
Auch da geht Elste in die Vollen: Er legt sich nicht nur mit den Strassenbahnfans in seiner Partei an, sondern auch mit der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, Transport und Verkehr. Angebotsverbesserung, Sauberkeit, Großkunden-Abo, alles ganz gut und schön, aber nicht länger zu finanzieren. „Wir haben eine verheerende Kostensituation“. 550 Millionen DM Schulden bei der Hochbahn (HHA) im Jahr 1996. Kann sich Hamburg nicht leisten. Also? Lean-Production! Zu deutsch: schlankere Produktion. Übersetzt: Weniger öffentliche Dienstleistungen.
Lean-Production. Da ist das Zauberwort, mit dem der Fraktionschef die knappen Hamburger Kassen entlasten will. Die Buslinien der Hochbahn zum Beispiel. Elste, zugleich Aufsichtsratschef der HHA, will sie künftig öffentlich ausschreiben. Prinzip: Wer's am billigsten macht, kriegt den Zuschlag. „Sonst ist das nicht mehr zu bezahlen.“ Doch bei den Buslinien soll's nicht bleiben. Kinderbetreuungsplätze? „Wer das kostengünstig anbieten kann....“ Eugen Wagners Hochbauamt? „Ingenieursbüros.“ Und so weiter. Wer die Probleme bewältigen will, so philosophiert Elste, „braucht Phantasie und Mut zu unternehmerischem Risiko.“
Ein mächtiger Zaunpfahl in Richtung Senatschef, der, so soll die Journalistenrunde schließen, nicht so recht in der Lage ist, das „Unternehmen Hamburg“ zu führen und eine „ökonomische, ökologische und soziale Wachstumsstrategie umzusetzen“. Trotz dieses bedauernswerten Umstands wähnt Elste die Stadt allerdings auf gutem Weg. Wachstum ist angesagt, trotz Rezessionsgejammer allerorten. Hamburgs Standortvorteil wird's schon richten, wenn man ihn ausbaut jedenfalls. Neue Büroflächen in der City-Süd, am Hafenrand, selbst an der City-Nord — Hamburg wird's brauchen, empfiehlt Wirtschaftswissenschaftler Elste und weiß auch schon den ersten Schritt. Ein Behördenhaus am Heidenkampsweg muß her, das schafft Platz in der City, in der allzu viele Amtsstuben kostbaren Wirtschafts- und Wohnraum besetzt halten. Verwaltungssenator Zumkley, so verrät Elste, das Schinkenbrot immer noch keines Blickes würdigend, prüfe bereits Kosten und Nutzen.
Und wenn das alles nicht geschieht, wenn man sich nicht an Doktor Elstes Rezeptur „Klare Konzepte plus kurzfristiges Reagieren plus Wahrhaftigkeit gleich prima Perspektiven“ hält? Dann allerdings droht Übles: mehr Politikverdrossenheit, mehr Wahlenthaltung, Schwächung der großen Parteien, Destabilisierung der Parlamente und natürlich der Machtverlust der Hamburger SPD. Was wiederum die Chancen Elstes auf die Voscherau-Nachfolge erheblich beeinträchtigen würde. Uli Exner
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