Kollwitz und die mißbrauchte Trauer

■ Die von König Kohl verfügte Umgestaltung der Neuen Wache als Ort jedweder Opfer stößt auf Kritik / Eine Kranzabwurfstelle für Politiker wird abgelehnt

Berlin. Das Bundeskabinett hat es Ende Januar beschlossen: Die von Schinkel gestaltete Neue Wache wird am Volkstrauertag als zentrale deutsche Gedenkstätte für die „Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“ eingeweiht. In dem von Heinrich Tessenow 1931 gestalteten und in der DDR-Zeit umgebauten Innenraum wird die vergrößerte Fassung der von Käthe Kollwitz 1937 geschaffenen Skulptur „Trauernde Mutter mit totem Sohn“ aufgestellt werden. Nachdem in Feuilletons lang über das Für und Wider gestritten wurde, fand am Montag abend die erste öffentliche Diskussion darüber statt. Und die Debatte, initiiert vom Verein „Aktives Museum Faschismus und Widerstand“ und geführt von Künstlern und Denkmalpflegern, lockte dermaßen viele streitlustige Interessenten an, daß die Akademie-Galerie im Marstall sichtbar zu dampfen und hörbar zu kochen anfing.

Zwei Punkte empörte die Mehrheit der Diskutanten besonders. Zum einen die Absicht der Politiker, mit einem Denkmal alle Opfer gleichermaßen zu betrauern. „Diese ungenaue leidenschaftliche Begierde, alle (Opfer) zusammenzufügen, ist unglaublich“, empörte sich der Bildhauer Rolf Symanski von der Hochschule der Künste. Vor der Wache sollte man für die kranzabwerfenden Staatsgäste ein Schild anbringen: „Hiermit ist Roland Freisler nicht gemeint.“ Es ist unerträglich, sagte auch Christine Fischer-Defoy, Vorsitzende des Aktiven Museums, daß die getöteten Soldaten und Zivilisten des Ersten Weltkrieges, die des Zweiten und die Opfer der nationalsozialistischen Terrors und obendrein noch die Toten der DDR-Herrschaft undifferenziert zusammengefaßt werden. Die Entscheidung sei von Bundeskanzler Kohl in einem „monarchistischen Stil“ gefallen. Thomas Lutz, Mitarbeiter der „Topographie des Terrors“ räumte zwar ein, daß Rituale in einer Gesellschaft „sinnstiftend“ und daher notwendig seien, aber Universaldenkmäler dies genau nicht tun. „Sie sind sinnentleerend“, dienten nur dazu, unsere Gesellschaft von Schuld und Trauer „zu entlasten“. Die zentrale Gedenkstätte sei eine „Mogelpackung“. Und der Kunsthistoriker Eberhard Roters forderte dazu auf, gegen die Vereinfachungen der Politiker „zu protestieren, solange man kann“.

Diese grundsätzliche, auch von Walter Jens, Präsident der Akademie der Künste, und dem in Ostberlin lebenden Bildhauer Werner Stötzer geäußerte Kritik brachte Christoph Stölzl, Leiter des Historischen Museums und Ideengeber für Kohls Gestaltungspläne, an den Rand der Weißglut. „Mir wird kalt bei Ihren Demokratievorstellungen“, schleuderte er den Kritikern entgegen. Die Bundesregierung sei schließlich gewählt worden, um Politik zu machen. Es sei von den Nachgeborenen „hart, unmenschlich und selbstgerecht“, wenn sie entscheiden wollen, wer von den gefallenen Soldaten „nur Opfer und wer nur Täter“ war. Die zentrale Gedenkstätte sei unter der „Hauptstadtentscheidung“ gefallen und für die Außendarstellung wichtig.

Genauso heftig wie die grundsätzliche Entscheidung für einen zentralen Gedenkort verteidigte er Kohls (und damit seine) Idee, die im Original nur 38 mal 38 mal 26 Zentimeter große Kollwitz-Pieta im überdimensionierten Maßstab nachbauen und im Tessenow- Raum aufstellen zu lassen. „Das Lichterkettenhafte an der Kollwitz-Figur hat was Anrührendes.“ Er sei überzeugt, daß diese „leicht sentimentale“ und tief empfundene Darstellung des selbsterfahrenen Leids geeignet sei, „die Versöhnung zwischen den verschiedenen Gruppen der Trauernden“ zu stiften. Nach dem von den Deutschen verschuldeten wie von Deutschen erlittenen Leid wäre die originalgetreue Wiederherstellung des Tessenow-Raumes von 1931 „mißverständlich“. Der damals von der Reichswehr als Gedenken an die Toten des Ersten Weltkrieges erteilte Auftrag könnte heute als Ort des „neuen Heldenkults“ mißinterpretiert werden. Die vergrößerte Kollwitz-Figur sei hingegen ein „Bild der Menschlichkeit“.

Durch die Überlastung der Neuen Wache durch alle „möglichen Formen von Trauer“ zerstöre man die Einfachheit des Raum und nehme der Trauer dadurch ihren Ernst, argumentierte hingegen der Nestor der deutschen Kunstgeschichte, der 93jährige Julius Posener. Er plädiere deshalb für die genaueste Wiederherstellung des Tessenow-Entwurfs. Und er zitierte das zeitgenössische Urteil von Siegfried Kracauer, der die „äußerste Enthaltsamkeit“ gegenüber dem Tod forderte. „Wir können es nicht besser als er machen“, sagte er. Auch Fischer-Defoy sprach sich aus künstlerischen und historischen Gründen für eine Rekonstruktion aus. Käthe Kollwitz habe es nicht verdient, daß ihre schlichte Pieta zum Monument „aufgeblasen“ wird. Unvorstellbar auch, daß ihre Figur die Trauer über die Opfer der NS-Diktatur darstellen könne. Denn „keiner der in den Vernichtungslagern Ermordeten durfte in den Armen der Mutter sterben“.

„Wer zwei so unterschiedliche Werke wie das von Tessenow und Käthe Kollwitz vereinen will“, argumentierte auch Walter Jens, gewinnt nicht, sondern „verliert beide“. Er spreche sich für Tessenow aus. Dies allerdings nicht in der Form, wie ausgeführt, sondern für den nie verwirklichten Tessenow-Nachkriegsentwurf. Statt schwarzem Quaderstein mit silbernem Eichenkranz ein abgrundtiefes Loch im Inneren des Raumes. Nur das „hoffnungslose Loch“ sei eine Antwort auf die Katastrophe, nur der „bodenlose Abgrund“ eine architektonisch angemessene Antwort auf den Krieg. Anita Kugler