Durchs Dröhnland: Melancholiker mit Humorproblemen
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Das Ereignis dieses Wochenendes ist natürlich „Die Nacht der Clubs“. Wobei weniger die Bandauswahl überzeugt (die hier...) als vielmehr die nette Idee mit den Shuttle-Bussen. Bekannte haben schon angedroht, die ganze Nacht busfahren zu wollen und sich ganz köstlich zu amüsieren. Das Programm ist — wie soll man sagen? — eher mau, entspricht aber dem Profil der einzelnen Clubs. Wahrscheinlich wird sich dann doch wieder die übliche Klientel in den Läden einfinden und den BVG-Dienst überflüssig machen. Außer man entführt einen Bus und fährt nicht nach Kuba, sondern zu einem der folgenden Konzerte...
Ab ungefähr 20 Uhr bis circa 4 Uhr morgens in Exit, Franz, H&M, Huxley's, Knaack, Kulturbrauerei, Metropol, SO 36, Tacheles, Waabe und Yorckschlößchen
Völlig ausgestorben, dachte ich, wäre einer der Klassiker der New Wave: das blonde Gift. Ein Wesen, das einfachste Popmelodien singt, unterstützt von einigen Herren, die im Hintergrund dazu rüde rumpunken. Der Prototyp war natürlich Debbie Harry, von Kim Wilde wurde das Konzept in den Mainstream überführt, und spätestens, als die Primitives von den 12jährigen entdeckt wurden, wanderte Blondie ganz nach hinten ins Platten-Regal. Aber alles kommt mal wieder, deshalb gibt es jetzt Sofa Head aus England, bei denen eine gewisse Claire genauso rotzig-dreist singt wie die seligen Shop Assistants (Seufz!). Die Frau muß einfach blond sein (obwohl ich es gar nicht genau weiß). Komisch wird es bloß dann, wenn sich einer der Männer ans Mikro schwingt und versucht, den noch seligeren Jimi Hendrix einzubinden. Wer sein Herz für Blondie(s) längst verloren glaubte, wird es bei Sofa Head neu entdecken — und zugleich feststellen, daß Punk doch Charme haben kann. Allen anderen ist eh nicht zu helfen, die haben einen schönen Teil ihrer Jugend nie gelebt.
Gar keinen Charme haben leider Circus Lupus aus Wisconsin. Verbissen ernst prügeln sie ihren Hardcore, der ganz gut gemacht ist, aber — von sanften Spinnereien abgesehen — eine reichlich stumpfe Angelegenheit bleibt.
Am 26.3. um 22 Uhr im K.O.B., Potsdamer Straße 157, Schöneberg
Am persönlichen Weg der Shamen läßt sich die Geschichte des englischen Underground fast parallel nachvollziehen: Mitte der Achtziger das 60ies-Revival durchgezogen (noch mit echten Instrumenten), doch immer schon eine Schwäche gehabt für nächtefüllende Dance Events, schließlich vollständig zum House-Act mutiert. Dazwischen ein Bandmitglied durch Tod verloren und sich erst gar nicht mit dem Zwitterstadium „Rave- Band“ aufgehalten. Die Shamen nahmen fast alles vorweg, was ein Jahr später die Charts überquellen ließ, hielten sich selbst aber dezent in der zweiten Reihe. Inzwischen sind ihre Grooves ultrahart, ihre Melodien schmachtender denn je und ihre Bedeutung unglaublich groß. Eigentlich sollten sie sich zur Ruhe setzen, aber dann gingen uns die endlosen Nächte mit ihnen verloren.
Am 26.3. um 20.30 mit den Space Cowboys in der Halle Weißensee
Escape With Romeo geben sich wirklich allergrößte Mühe, ihrem Namen Leben zu geben. Da die Mannen aus Essen aber anscheinend ein Humorproblem haben, spielen sie Musik für den Melancholiker von nebenan. Genau den jungen Mann, der immer erst nach Sonnenuntergang aus seinen Laken kriecht und dich dann um zwei Löffel Kaffeepulver anschnorrt. Mehr braucht er nicht zum Leben. Solche Leute finden eben „Hubschrauber im Regen“ (Songtitel) ausgesprochen romantisch. Nun gut.
Am 26.3. um 22 Uhr auf der Insel, Alt-Treptow 6, Treptow
Inzwischen deckt HipHop so ziemlich jede denkbare ideologische Strömung ab, was um so komischer ist, als in der Öffentlichkeit noch immer nur der Gangsta- Rap wirklich wahrgenommen wird. Arrested Development sind dazu der diametrale Gegenentwurf und verhalten sich zu — sagen wir mal — Ice-T wie Woody Allen zu Arnold Schwarzenegger. Arrested Development leben als Landkommune in der Nähe von Atlanta, lehnen die überkommenen Rollenklischees ab, sind gemischtgeschlechtlich, sind poetisch und politisch, tragen keine Knarren, sondern Verse, und sind überhaupt ganz überkorrekte Menschen. Und natürlich die Lieblinge der Kritikerschaft. Ihr HipHop ist ungewohnt lebendig, weil richtig echte Instrumente verwendet werden und man auch sonst vor keinem Einfluß zurückschreckt. Ich persönlich finde ja sogar, daß „People Everyday“ wie von Prince geklaut klingt — oder andersrum demnächst von Prince geklaut werden muß.
Am 28.3. um 20 Uhr in Huxley's Neuer Welt, Hasenheide 108-114, Kreuzberg
Der Mann ist Gitarrist — und steht auch noch dazu. Genauer gesagt: Er hängt sich nicht nur eine Gitarre um den Hals, sondern kann sie auch noch richtig gut spielen. Und das beste ist: Man hört das auch. Spätestens jetzt müßte eigentlich auffallen, daß der Mann nicht gerade mit der Mode geht. Sein Name ist übrigens Gary Lucas, und er hat eine bewegte Vergangenheit als Begleitmusiker hinter sich. Seine Arbeitgeber waren Captain Beefheart, die Mekons, Nick Cave... lassen wir das. Als Vergleich wird natürlich — wie bei jedem Gitarristen, der seine sechs Saiten halbwegs auseinanderhalten kann — sofort Jimi Hendrix bemüht... Lassen wir auch das, ist sowieso Humbug. Die Kritiker wollen bei Lucas auch „firebreathing guitar solos“ (New York Times) gehört haben. Das sollte niemanden abschrecken, denn bis auf Aussetzer hält sich Lucas doch sehr zurück, stellt seine Virtuosität meist in den Dienst der Sache, sprich der Songs. Die wiederum sind sehr englisch, schließlich besteht seine Band zur Hälfte aus ehemaligen Woodentops. Oft hört man auch Schüttel-Folk, denn mal hat Lucas ja bei den Mekons mitgetan. Aber Berührungsängste hat der Mann sowieso nicht: Bei einem Stück setzt er Cameo an die Turntables, und Keith Leblanc darf mal programmieren. Die einzelnen Songs sind so verdammich stilsicher, daß einen zwar ein ungutes Gefühl beschleicht, aber das kann man ja abstellen. Ansonsten paßt einfach nichts zusammen, und das ist zumindest komisch.
Am 30.3. mit den lokalheroischen Strangemen um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg
Irgendwann waren sie mal großartig. Damals, als man selbst noch zu klein war, um in Konzerte zu dürfen, die Älteren aber schon mit dem Iron Maiden- Schriftzug auf der Jacke stolzgeschwellt über den Schulhof schlurften. Man erzählte sich hinter vorgehaltener Hand wahre Wunderdinge über diese Konzerte, geschmückt mit allerlei englischen Fachausdrücken wie „power“ oder „echt heavy“. Später haben wir dann feststellen müssen, daß Iron Maiden auch nicht derber waren als Deep Purple, wie wir sie von Platte kannten. Die Enttäuschung hielt sich aber in Grenzen, denn wir hatten das Älterwerden so schnell hinter uns gebracht, daß nicht einmal eine verlassene Lederhose im Schrank einsam vor sich hinstaubte. Iron Maiden gibt es übrigens immer noch. Bruce Dickinson schreibt inzwischen nicht nur Romane, sondern singt auch Zeilen wie diese: „Watching horror films the night before/ Debating witches and folklore“. Head on, Bruce.
Am 30.3. um 20 Uhr in Huxley's Neuer Welt
Thomas Winkler
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