Bonn, Berlin etc.: Corpus Christi
■ Reichstagsverhüllung: Christo erweckt Parlamentarier
Fast scheint es, als gebe es in dieser Woche nur zwei große politische Lager im Bundesdorf Bonn: das der Christo-Befürworter und das seiner Gegner. Beide überparteiliche Parteien haben längst prominente Wortführer: Helmut Kohl hatte schon 1987 zum ersten Mal verlauten lassen, seiner bis dato ungefragten Meinung nach sei eine zeitweise Verhüllung des Berliner Reichstages mit der wie auch immer gearteten Würde dieses Grabsteines der deutschen Demokratie nicht zu vereinbaren. In dieser Woche nun schlug sich Kohls Parteifreund Richard von Weizsäcker auf Christos Seite. Bei einer einstündigen Audienz am Dienstag ließ der Bundespräsident durchblicken, daß er wie sein Amtsvorgänger Walter Scheel Sympathien für das Projekt hege. Einen Tag zuvor hatte nach einem Gespräch mit Christo bereits Björn Engholm, zur Zeit selbst Experte für Verhüllung, ein ähnliches Signal gegeben.
Für oder gegen die Verhüllung des Reichstages – dazwischen kann in diesen Tagen in Bonn nichts sein, denn Christo selbst ist in der Stadt. Mit seiner Frau Jeanne-Claude und seiner Entourage zieht der schmächtige Bulgare in dieser Woche in Bonn von Vortrag zu Vortrag und von Büro zu Büro. Formaler Anlaß für die selbstauferlegte Tour de force sind die prämierten Modelle für den Umbau des Berliner Reichstages zum neuen Bundestag. Seit Montag dürfen sie in der Wandelhalle des neuen alten Bonner Bundestages von den Parlamentariern begutachtet werden. Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth – seit langem ausgewiesene Christo-Demokratin – sorgte dafür, daß auch dessen Modell des verhüllten Reichstages daneben stehen darf.
Tatsächlich geht es Christo um Sekt oder Selters: „Jetzt oder nie“, hatte der 57jährige Künstler selbst bereits am Montag bei der Eröffnung der Modellaustellung offensiv mitgeteilt. Wenn sich das auf 14 Tage angelegte und vollständig von ihm allein finanzierte Projekt nicht vor dem geplanten Umbau des Reichstages realisieren ließe, sei es nach 21 Jahre währenden und bislang im Ergebnis erfolglosen Durchsetzungbemühungen für ihn endgültig gestorben. Nach jahrzehntelangen Gesprächen mit „sehr sehr wichtigen Menschen, deren Namen wir längst wieder vergessen haben“, wollten Christo und Jeanne-Claude Javacheff jetzt die einfachen Abgeordneten selbst überzeugen. Unterstützung scheinen beide dabei nach ihrer missionarischen Bonner Woche jetzt auch aus Reihen der CDU- Bundestagsfraktion zu bekommen. „Über Christos Wunsch hat der Bundestag zu entscheiden – nicht der Bundeskanzler“, hatte schon am Montag bei einem Christo-Vortrag in der Bundeskunsthalle der christdemokratische Abgeordnete Heribert Hellenbroich laut und vernehmlich klargestellt. „Wenn Herr Kohl gegen die Verhüllung ist, dann handelt es sich dabei um die Meinung von einem von über 600 Abgeordneten. Ich selbst sehe die angebliche Entwürdigung des Hauses auch nicht: schließlich verhüllen die Katholiken am Gründonnerstag sogar den Corpus Christi, ohne ihn dadurch in den Schmutz zu ziehen. Ich weiß, daß es auch in der CDU viele Parlamentarier gibt, die das Projekt ,Verhüllter Reichstag‘ sehr schätzen und werde das Thema deshalb in den Parteigremien ansprechen.“
Wirkung scheint der theologische Vergleich bereits jetzt zu zeigen. Geradezu geläutert schien nach ihrem Gespräch mit Christo die CDU-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Staatssekretärin Renate Hellwig: „Ich bin vom Saulus zum Paulus geworden, habe die Idee vorher abgelehnt und bin jetzt, nachdem ich das Modell gesehen habe, zur Befürworterin geworden.“ Rund 100 weitere ParlamentarierInnen hatten ihr Kommen für Christos Vortrag am Mittwochabend in der Bonner Universität zugesagt – Gelegenheit für weitere Überzeugungsarbeit.
An einem Montagmorgen im August des Jahres vor dem noch nicht terminierten Reichtagsumbau wolle er mit der Verhüllung des Gebäudes beginne, hat Christo in Bonn angekündigt. Am folgenden Donnerstagnachmittag seien die Arbeiten, in deren Verlauf sich 200 Bergsteiger mit schwerem Silbergewebe vom Dach aus abseilen sollen, dann beendet. Ähnlich konkrete Prognosen darüber, wann nach seinen Bonner Gesprächen der Bundestag endlich die Entscheidung über seinen Wunsch fällen wird, mag er trotz der Erfolge dieser Woche nach wie vor nicht abgeben: „Ich bin sicher, daß Frau Professor Süssmuth dafür einen geeigneten Zeitpunkt finden wird.“ Stefan Koldehoff
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