■ Die Politiker sind Profis geworden – auch im Einsacken von Geldern
: Enthaltet Euch nur. Ihr zahlt trotzdem!

Die Entrüstung des Volkes über Filz und Bestechung, über ein – in Italien, aber auch anderswo – fast schon flächendeckendes System illegaler Provisionserpressung durch uns Parteileute ist verständlich. Wer, wie ich, zu den ersten gehört, die sich (allerdings erst im Gefängnis) umgedreht und begonnen haben, das System zu zerhauen, der weiß allerdings auch, daß alleine das Zertrümmern nichts hilft.

„Moralisieren ohne Programm“ hat der Fraktionsvorsitzende der „Demokratischen Partei der Linken“ (PDS), Massimo D'Alema, kürzlich gesagt, „kann gefährlicher sein als das korrupte System selbst: es landet im Abenteurertum“. Ich gehöre seiner Partei nicht an. Aber mit dem, was er sagt, hat er vollkommen recht.

Denn was die Öffentlichkeit nicht weiß, und was wir Parteileute vor ihr auch ängstlich geheimhalten, ist eine schlichte Tatsache: das Geld, das wir mit Erpressung der Unternehmer, der Ausbeutung des Staates und der Mauschelei mit Kriminellen eingeholt haben, ist nur zum geringsten Teil in unsere eigenen Taschen geflossen. Bei Summen von jährlich umgerechnet 20 Milliarden D-Mark ist allerdings auch schon ein Anteil von 15 bis 20 Prozent ein ansehnlicher Betrag, selbst wenn er in viele Hände verteilt wird. Mancher Parteifürst hat sicher zig Millionen D-Mark vereinnahmt. Daß da keiner mehr etwas von uns Politikern hören will, Wahlenthaltung und Protestwahl die Regel sind, ist logisch. Es wäre geradezu pervers, wäre es anders.

Doch das ist nicht das Hauptproblem: unsere Parteien haben tatsächlich soviel Geld nötig. Was in ihren Bilanzen auftaucht (die meisten größeren europäischen Parteien wiesen umgerechnet zwischen einer halben und einer Milliarde D-Mark aus), ist nur ein Teil, und nicht einmal der größere, der für die Parteiarbeit draufgeht: die Miete von Büros, Kosten für das unmittelbar dort beschäftigte Personal, Telefon, einige Reisen. Der Hauptteil aber wird ganz woanders ausgegeben und kostet den Bürger Unsummen.

Zum Beispiel in den Haushaltsposten des Parlaments – etwa für die Fraktionsarbeit, die aber zum großen Teil Parteiarbeit ist – ebenso wie durch Steuereinsparungen für sogenannte gemeinnützige Stiftungen, die jedoch nur der Partei und nicht dem Bürger nützen. Wenn die Miete in der Parteizentrale zu hoch wird, zieht eben ein Teil der Mitarbeiter in solche Stiftungen um. Wenn die Telefonkosten zu hoch sind, telefoniert man eben vom „Amt“ eines Parteigenossen aus und so weiter und so fort.

Dazu kommt Public-relations-Arbeit, vom Kamingespräch der mittleren und hohen Chargen, selbstverständlich mit anschließendem Buffet, bis zum Auftritt in Fernsehshows, was auch oft ziemlich viel finanzielle „Überzeugungsarbeit“ in den Redaktionen kostet.

Eine ehrliche Aufstellung all dessen, was, sagen wir, zu mindestens zwei Dritteln der Partei und nicht der Gesamtgesellschaft nützt, würde belegen, daß die illegal vereinnahmten Gelder gerade ausreichen – und das selbst, wenn man die zugegebenermaßen riesigen Verschwendungen bei Parteitagen oder auf „Dienstreisen“ unserer Politiker eindämmen würde.

Alleine in der Stadt, in der ich Bürgermeister war – sie hat gerade 50.000 Einwohner – hatten wir neben dem offiziellen Etat meiner Partei von rund 100.000 D-Mark Ausgaben in vierfacher Höhe, die wir illegal einbringen mußten. Würden wir das reale Ausmaß unserer finanziellen Bedürfnisse als Partei offenlegen, bräche eine Revolution aus: der Bürger würde erkennen, daß er einen Großteil seiner Steuern nur für den Erhalt der Parteien zahlt.

Parteien sind so teuer geworden. Die Mittlerrolle, zu der sie die Verfassung aufruft, ist nicht mehr am Feierabend zu erledigen. Und im Übrigen: hat nicht allüberall das Volk in den 60er Jahren nach einer Professionalisierung der Politiker gerufen, weil die meisten sich angesichts neuer Anforderungen als ziemlich dumme Amateure erwiesen hatten? Nun haben wir den Profi; aber wir wollen natürlich nicht, daß er ein Rundum-Profi ist und professionell Geld für sich und seinen Verein einsackt, wo er kann.

Die Ausgaben aller Parteien vermehren sich in letzter Zeit noch weiter. Und seit dem Kollaps der alten Rechts-Links-Konfrontation unterscheiden sich ihre Programme nur noch in Nuancen. Wähler kann man da nur noch durch eine immens vermehrte Reklame und eine Anbindung an oft völlig sachfremde Spots werben, die PR-Ausgaben sind geradezu explodiert.

Man kann natürlich daran denken, einen radikalen Schnitt zu machen, und die Parteien im heutigen Sinne einfach durch die Bank aufzulösen. Oder ihnen allen ein Oberdach von Finanzierung zugeben, das auf keinen Fall, unter Androhung schwerster Strafen, „aufgebessert“ werden darf. Es würde sie zu kleinen, bescheidenen Meinungsvereinen machen. Doch niemand hat wirkliche Anhaltspunkte dafür, daß eine Deprofessionalisierung automatisch auch schon eine höhere Demokratisierung bedeutet. Paolo Rossi

Der vorstehende Kommentar entstammt einem Leserbrief an die Italienredaktion der taz. Der Autor war Bürgermeister in einer unteritalienischen Kleinstadt, ist wegen Korruption angeklagt, geständig, lebt aber derzeit wegen zahlreicher Morddrohungen aufgrund seiner Aussagen in der Schweiz. Sein wirklicher Name ist der Redaktion bekannt.