■ Die Ministerpräsidenten und das 13.Schuljahr
: Lernschnellwege machen dumm

Je länger Politiker um das 13.Schuljahr streiten, um so deutlicher outen sie sich als hochgradig lernbehindert. Sie wollen beschleunigen und einsparen. Aber auf Lernstoff verzichten wollen die Bildungsdealer nicht. Sie stellen sich Bildung als gigantische Förderbänder vor. Oben stehen die wissenden Lehrer, über ihnen nur noch die Professoren mit ihren allerneuesten Forschungen. Die Pädagogen schütten das Wissen sackweise auf die didaktischen Riemen. Unten die Schüler und Studenten. Sie sollen fressen, was aufs Band kommt. Dabei könnten auch Politiker inzwischen wissen, daß die Industrialisierung des Lernens nicht mal der Wirtschaft bekommt. Wer dieser Tage über die Cebit flaniert, hört, daß die Halbwertszeit des Wissens hier nicht mal mehr auf zwei Jahre angesetzt wird. Es hat schlicht keinen Sinn mehr, weiter auf pädagogische Lehrplanwirtschaft zu setzen oder sogar, wie CDU-Kultusminister, das enge Korsett eines Standardcurriculums mit Zentralabitur zu fordern.

Auf der Cebit wird über die Zentralkomitees des Wissens nur noch gelacht. Hier setzt man auf die kreative Persönlichkeit. Die Computerisierung der Wirtschaft in den vergangenen 20 Jahren gelang nicht trotz des Mangels an Informatikern, für die es erst jetzt Lehr- und Studienpläne gibt, sie gelang wegen dieses Mangels. Sie verdankt sich nicht der Didaktik, sondern der Autodidaktik. Jüngstes Indiz: Rolf Berth, Leiter der Akademie für Führung und Innovation bei der Unternehmensberatungsfirma „Kienbaum“, hat die Vorgeschichte von 1.919 Innovationen in der Industrie untersucht. Ergebnis: Nur ein Drittel der bahnbrechenden Innovationen kommt von Fachleuten (35 Prozent). Die meisten Innovationen bringen „Quereinsteiger“ (37 Prozent) und sogenannte „unwissende Außenseiter“ (28 Prozent). Weniger erstaunt als erschreckt ist Kienbaum, wie steil die Kurve von „Durchbruchsinnovationen“ in der Wirtschaft heute absinkt, während sich der Pegel braver „Verbesserungsinnovationen“ noch hält. Nur wenn Zeit gelassen wird, entwickeln sich kreative Prozesse. Lernen und Forschen verläuft in Sprüngen und auf Umwegen. Nie auf Lernschnellwegen. Die führen nur in den Stau. An diese Grenze gerät unsere „Zu-vieli-sation“ ja überall: Das Wasser in den Kanälen wird faulig und stinkt bereits. Nur in den verschlungenen Läufen mäandrierender Flüsse erneuert es sich.

Aber auch über die Schulzeit muß man diskutieren. Hartmut von Hentig, der genialste unserer Pädagogen, meint, man solle die Schulpflicht mit der Pubertät erst mal aussetzen. Dann raus: ins Ausland, in den Wald, in die Produktion. Und später wieder zurück in die Akademie – aber niemals mehr in die Lernfabrik. Reinhard Kahl

Publizist in Hamburg