Frankreichs Konservative messen ihre Kräfte

■ Chirac fordert Mitterrands Rücktritt – Giscard hingegen schont den Präsidenten

Paris (taz) – Die Sieger des ersten Wahlgangs zur französischen Nationalversammlung messen ihre Kräfte. Erster Anlaß zu Differenzen zwischen der neogaullistischen RPR und der rechtsliberalen UDF ist die anstehende cohabitation zwischen konservativer Regierung und sozialistischem Präsidenten. RPR-Chef Jacques Chirac griff François Mitterrand scharf an: Der Präsident müsse zurücktreten, falls der zweite Wahlgang die Niederlage der Sozialisten bestätige, sagte Chirac. Sein Bündnispartner, UDF-Chef Valery Giscard d'Estaing, wies Chirac sogleich in die Schranken: Falls er die Institutionen nicht respektieren wolle, hätte er das vor dem ersten Wahlgang ankündigen müssen.

Während Chirac also Druck auf Mitterrand ausübt, möchte Giscard diesen schonen. Beide Politiker konkurrieren seit 20 Jahren darum, Präsident zu werden. Heute liegt Chirac in der Gunst der Franzosen klar vorne, deshalb ist er an vorgezogenen Wahlen interessiert. Giscard dagegen hofft, daß er sein Image bis zum regulären Wahltermin in zwei Jahren aufbessern kann.

Um Mitterrand in die Enge zu treiben, machte Chirac ihm bereits den Einfluß auf die Regierungspolitik streitig: Er sprach dem Staatschef den Vorrang in Sachen Außenpolitik zwar nicht ab – laut Verfassung ist der Präsident für Verteidigung und Außenpolitik verantwortlich. Angesichts der erwarteten überwältigenden Mehrheit der Rechten im Parlament dürfte Mitterrands Handlungsspielraum aber gleich Null sein. Daher erklärte er versöhnlich, er gehe von „geteilten Zuständigkeiten“ in der Außen- und Verteidigungspolitik aus.

Die Überschneidung der Kompetenzen muß jedoch zu Machtkämpfen führen. Den Anlaß für eine erste Kraftprobe hat Chirac schon genannt: Der GATT-Agrarkompromiß sei für Frankreich nicht annehmbar. Die neue Regierung müsse sich „dem Abkommen in den Weg stellen. Angesichts der deutschen Ansichten wird das gewiß zu starken Spannungen, wenn nicht zu einer europäischen Krise führen“, drohte er. Die europäische Einigung ist jedoch ein Pfeiler von Mitterrands Politik. Er könnte es nie hinnehmen, daß seine Regierung eine Krise der EG heraufbeschwört.

Im Elysée-Palast werden die scharfen Töne allerdings eher erfreut aufgenommen. Denn die Europapolitik entzweit die neue Mehrheit. Beim Referendum lehnte die RPR den europäischen Einigungsvertrag überwiegend ab, während die UDF eindeutig dahinter stand. Mitterrand rechnet daher damit, daß die UDF sich in Sachen Europa auf ihn stützen wird.

Das gute Wahlergebnis der Front National dürfte die Spannungen innerhalb der Rechten ebenfalls schüren. Schon jetzt zeichnet sich ab, daß ein Teil der Konservativen das rechtsextreme Wählerpotential auf seine Seite ziehen möchte: Chirac griff die Themen der FN eilig auf und erklärte die Beherrschung der „exzessiven und gefährlichen“ Einwanderung zu Prioritäten der neuen Regierung.

In der Hoffnung, daß die Konservativen ihr Bündnis nicht im Griff haben werden, gibt Mitterrand sich gelassen und äußerst entschieden. „Ich lasse mich weder isolieren, noch in einer Mausefalle einsperren, noch im Schatten erwürgen“, versprach er bei der Verabschiedung der sozialistischen Regierung. Bettina Kaps