: Neue politische Farbenlehre in Hessen
Nach den Kommunalwahlen laufen in Landkreisen und Kommunen die Koalitionsverhandlungen/ Von Rot-Grün über Schwarz-Rot bis zu Schwarz-Grün alles im Angebot ■ Aus Frankfurt Klaus-Peter Klingelschmitt
Nach den hessischen Kommunalwahlen vom 7. März muß die politische Landkarte neu gezeichnet werden. Die SPD, Abonnementspartei auf satte Mehrheiten in zahlreichen Kreistagen und Stadt- und Gemeindeparlamenten, hält nur noch in zwei nordhessischen Landkreisen das rote Fähnlein hoch.
Die schwerste Niederlage der Sozialdemokraten in der Geschichte des Landes läßt – auch weil die „Republikaner“ in (fast) allen Kreistagen und in den Ratsversammlungen der Großstädte sitzen – Raum für bislang nur in Baden-Württemberg erwogene politische Konstellationen. Schwarz-grüne Bündnisse sind machbar, in Ausnahmefällen sogar zwingend geworden: „Wenn man die CDU nicht in die Arme der Reps treiben will, muß man offen sein für schwarz-grüne Koalitionen.“ Das jedenfalls erklärte der Verhandlungsführer einer grünen Delegation in einer Kommune in Südhessen nach der ersten Verhandlungsrunde mit der CDU zur Bildung einer Koalition auf Gemeindeebene. „Roß und Reiter“ wollte der Mann allerdings nicht benennen, denn noch seien nicht alle gemeinsamen Vorhaben per Koalitionsvertrag unter Dach und Fach gebracht worden. In der Provinz, so die Einschätzung, würden „diese Dinge“ vor Ort nicht so heiß gegessen, wie von der Presse vorgekocht – „wenn es gelingt, sich tatsächlich auf die lokalpolitischen Themen zu beschränken“.
Dagegen wird in Kassel mit offenen Karten gespielt. Im Gespräch mit der taz hat der christdemokratische Kandidat für das Oberbürgermeisteramt, Georg Lewandowski, die Grünen mit erschrockenem Blick auf eine auch mögliche große Koalition als die „weitaus sympathischere Alternative“ bezeichnet. Weil es nach den daramatischen Einbrüchen der SPD (minus 20,9 Prozent) für eine rot-grüne Koalition nicht mehr reicht, sehen auch die Grünen in einer Allianz mit der CDU einen „gangbaren Weg“. Die SPD – zusammen mit einer ohnehin unwilligen FDP – wieder in Regierungsverantwortung zu bringen wäre doch „Betrug am Wähler“. Die ersten Verhandlungsrunden zwischen Grünen und CDU sind gelaufen. Und über den Tisch gezogen fühlte sich danach keiner der Beteiligten. So könnte Kassel erneut der Vorreiter für neue Bündnisse auch anderswo werden. In der experimentierfreudigen Dokumenta-Stadt wurde bereits Anfang der 80er Jahre die erste rot-grüne Koalition auf Großstadtebene aus der Taufe gehoben.
In Wiesbaden bastelt Wahlverlierer und Noch-Oberbürgermeister Achim Exner (SPD) dagegen an einer Allparteienregierung für die Landeshauptstadt – unter Ausschluß der Reps. Bei Einigkeit in wichtigen Sachfragen, so die Vorstellung des einstigen „Sonnyboys“ der hessischen Sozialdemokraten, könne eine gemeinsame Stadtpolitik der demokratischen Parteien einen auch für die WählerInnen beeindruckenden Neuanfang darstellen. Die Grünen reagierten mit Skepsis auf den Vorstoß von Exner. Ihre Mitgliederversammlung hatte einer Ampel aus SPD, Grünen und FDP „klaren Vorrang“ vor anderen Konstellationen eingeräumt. Allerdings sträubt sich die FDP – wie in Kassel – gegen die Einbindung der Partei in eine Ampel. Zudem glauben die Grünen, daß es politisch unklug sein könnte, die Reps als alleinige Oppositionspartei im Stadtparlament zu belassen.
Auf Landesebene gibt es bei den Grünen klare Prioritäten bei der Mehrheitsbildung, wie der Fraktionsgeschäftsführer der Partei im Landtag, Reinhold Weist aus Kassel, auf Nachfrage erklärte: „Rot-grün hat erste Priorität, dann die Ampel und danach mögliche schwarz-grüne Koalitionen.“ Trotz dieser Prioritätenliste legte Weist den grünen Verhandlungskommissionen in den Landkreisen und Kommunen nahe, sich der SPD „nicht für Kleingeld“ zu verkaufen. Drohungen der SPD mit der Option auf die Installation von großen Koalitionen sollten die Grünen vor Ort auch nicht sonderlich beeindrucken.
Dort, wo rot-grüne Koalitionen machbar sind, wird bereits eifrig verhandelt – etwa im Landkreis Groß-Gerau im Frankfurter Umland und auch in Frankfurt selbst, in mehrern nordhessischen Landkreisen und in den mittelhessischen Universitätsstädten. In Frankfurt laufen seit Wochenfrist die Verhandlungen hinter den verschlossenen Türen eines Luxushotels. Wie zu hören war, wuchern die Grünen im „Saal München“ mit ihren Pfunden. Ein Dezernat mehr für die Grünen soll nach dem Wahlerfolg (14 Prozent) und den SPD-Verlusten (minus 8,1 Prozent) schon herausspringen. Für die Verkehrspolitik wollen die Grünen Regierungsverantwortung in der Stadt übernehmen. Und der Kandidat für dieses Dezernat wird auch schon auf dem „Basar“ gehandelt: Lutz Sikorski, bislang Geschäftsführer der Römerfraktion der Grünen, soll den zusätzlichen Magistratssessel hauptamtlich besetzen. Weil in Frankfurt demnächst keine OB- Direktwahl auf dem Terminkalender der KommunalpolitikerInnen steht, dürften die Verhandlungen glatter über die Bühne gehen als anderswo. In Rüsselsheim, Darmstadt und auch in Kassel komplizieren anstehende Direktwahlen dagegen die Situation. Koalitionsvereinbarungen wurden bislang noch nicht gezeichnet. Und deshalb werden die Kartographen mit der Reinzeichnung der politischen Hessenkarte noch warten müssen.
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