Wirbel um Elstes Spar-Coup

■ Privatisierungs-Vorschläge des SPD-Fraktionschefs: Jubel bei CDU und FDP, Ohrfeigen von der ÖTV, Skepsis bei der SPD / Nur der erste Bürgermeister versteht die ganze Aufregung nicht

: Jubel bei CDU und FDP, Ohrfeigen von

der ÖTV, Skepsis bei der SPD / Nur der Erste Bürgermeister versteht die ganze Aufregung nicht

„Herzlichen Glückwunsch! Elste auf FDP-Kurs“ — mit begeisterter Zustimmung reagierte gestern FDP-Fraktionschef Reinhard Soltau auf das umfassende Privatisierungs- und Sparpaket, mit welchem der SPD-Fraktionsvorsitzende Günter Elste Hamburg aus der Krise führen

1will (die taz berichtete). Auch CDU-Fraktionschef Rolf Kruse räumte neidlos anerkennend ein: „Bei zahlreichen Vorschlägen Herrn Elstes handelt es sich um klassische CDU-Politik.“ SPD-Chef Helmuth Frahm sah Elste auf ganz anderen Wegen: „Jeden Tag treibt irgendein SPD-Politiker eine neue Sau durchs Dorf.“ Hamburgs ÖTV-Chef Rolf Fritsch wiederum fragte sich erstaunt: „Ich begreife Günter Elste nicht. Will er den Konflikt mit uns? Dann kann er ihn haben!"

Sparen, Privatisieren, Zerschlagung des öffentlichen Dienstes, Straßenbau — CDU und FDP wußten gestern zunächst gar nicht, ob sie angesichts der Elste-Offensive lachen oder weinen sollten. Als sie sich wieder gefaßt hatten, ratterten die Faxgeräte der Opposition unisono: Elste ist prima, Elste ist 'ne Wucht, politisch voll auf CDU- und FDP-Linie. Aber: Seine Fraktion, den lauen Bürgermeister und den unfähigen Senat, so die Wirtschaftschristliberalen, werde Elste wohl nicht überzeugen können.

SPD-Chef Helmuth Frahm dagegen hatte sich die Lehren aus dem sozialdemokratischen Wahldebakel in Hessen anders vorgestellt: „Neue Lösungen lassen sich nur im Dialog mit den Betroffenen durchsetzen. Wir müssen bei derart einschneidenden Vorschlägen auch die Gemeinsamkeiten mit den Gewerkschaften suchen. Gerade ‘lean production' und 'lean management' basieren auf Dialogorientierung. Ich kann hier nur vor Schnellschüssen warnen." Frahm garniert seine Kritik an der Vorgehensweise Elstes mit sanfteren Worten zum Inhalt seiner Vorschläge: „Was vernünftig ist, wird gemacht.“

Erheblich schärfer der Kommentar von öTV-Boß Fritsch: „Die aktuelle Hamburger Krise gründet sich auf den unterlassenen Strukturreformen, zum Beispiel die Parlamentsreform und die Verwaltungsreform, Reformen, die wir seit langem einklagen. Zudem hat es Elste als Geschäftsführer der Holding aller öffentlichen Unternehmen doch schon seit langem in der Hand, für Effizienz zu sorgen.“ Das Fazit des Chefs von mehr als 72000 ÖTV-Gewerkschaftern, gut 7 Prozent der Hamburger Wahlberechtigten: „Nun beklagt er sich über Dinge, die er selber verursacht hat. Die eigene Unfähigkeit wird projeziert und mit untauglichen Vorschlägen auf den Knochen der Arbeitnehmer ausgetragen.“

SPD-Mitglied Fritsch will dem nicht tatenlos zusehen: „Wir werden uns vor der nächsten Bürgerschaftswahl nicht zu den üblichen SPD-freundlichen Wahlprüfsteinen bequemen. Wir werden eine Dissensliste aufstellen, bei der unserere Mitglieder sehen können, wo und wie wir im Streit mit Senat und Regierung liegen.“ Tip von Fritsch an die SPD: „Die Partei könnte das mit ihrer Regierung ja auch mal machen. Sonst nimmt doch niemand Parteitagsbeschlüsse mehr ernst — ich denke nur an Verkehrsparteitag.“

1Senatschef und ÖTV-Mitglied Henning Voscherau findet derlei Aufgeregtheiten eher verwunderlich. Schon im Dezember 1992 habe er selbst darauf aufmerksam gemacht, daß das Verhältnis zwischen privatem und öffentlichem Sektor angesichts knapper Kassen neu diskutiert werden müsse. Günter Elstes Vorschläge, so der Bürgermeister väterlich, „verdienen es, sorgfältig abgewogen und in die bevorstehenden Beratungen des Senats zum Haushalt 1994 einbezogen zu werden.“ Florian Marten