„Betrachten Sie das bitte nicht als Angriff..."

■ Baustaatsrat Jürgen Lüthge über Umweltschutz in Bremen, das Hemelinger-Marsch-Ressort, und Joghurtbecher

Das Thema der Antrittsvorlesung „Umweltschutz in Bremen“ ist kein Scherz! Obwohl kaum ein Thema weniger geeignet ist als dieses, inhaltlich von einer lokalen Fixierung aus betrachtet zu werden. Die Weser nimmt ihre Salzfracht zu einem großenTeil in Thüringen auf, durch industrielle Produktion im unteren Verlauf des Flusses entstehen Bromide. Bremen mußte unter anderem deshalb vor vielen Jahren die Trinkwassergewinnung aus der Weser einstellen. Die bremischen Abwässer kommen dann hier dazu. Die gesamte Schmutzfracht findet sich in der Nordsee wieder und kommt dann anteilmäßig zurück, insbesondere freitags, wenn es Nordseefisch gibt.

Gestatten Sie mir, als einem Mann, der aus der bremischen Verwaltung kommt, zunächst einen Blick auf die Organisationsform des heutigen behördlichen Umweltschutzes zu werfen. Ende der 80er Jahre hatte das Umweltschutzressort eine Zuständigkeit für alle Umweltbereiche und für sämtliche umweltrelevanten Ämter in Bremen erhalten. Auf der Wunschliste standen lediglich noch die Zuständigkeiten für Bebauungspläne und für Energiefragen.

Nach der Wahl 1991 wurden auch diese beiden Bereiche dem Umweltressort zugeordnet. Dies ist eine der weitestgehenden Zuständigkeitsregelungen, die es auch im Vergleich zu den anderen Bundesländern gibt.

Bei den Schwerpunktsetzungen der letzten 15 Monate des Ressorts hatte ich das Gefühl, im wesentlichen ein Stadtentwicklungsressort vor mir zu haben. Die wichtigsten Konflikte hingen stets und ständig mit der Flächennutzung oder Flächenumwidmung zusammen. Es ging dabei im wesentlichen um die Umnutzung der alten Hafenreviere,die ich auch seit Jahren inhaltlich vertrete und fordere, sowie um die umstrittene Gewerbeflächenausweisung in der Hemelinger Marsch. Auch diese hat ganz sicher massive Rückwirkungen auf Umweltschutzbelange, aber ich habe den Eindruck, daß diese

Der Herr Professor Lüthge

Fragen inzwischen völlig übergewichtet und geradezu fetischhaft im politischen Prozeß diskutiert werden. Ob eine derartige Konzentration den übrigen Belangen des Umweltschutzes gerecht wird, wage ich sehr zu bezweifeln. So wichtig es ist, ca. 80 ha in der Hemelinger Marsch, die gegenwärtig allerdings hauptsächlich als Ackerland genutzt werden, zu erhalten, hundertmal wichtiger ist es in meinen Augen, die rund 2.800 ha Landschaftsschutzgebiet im Blockland mit einem effektiven Natur- und Artenschutzkonzept finanziell und rechtlich abzusichern. Dort

Und immer wieder freitags kommt das Gift retourFoto: Matthias Leupold

droht gegenwärtig sicherlich mehr an Pflanzen und Tierarten verloren zu gehen als in der Hemelinger Marsch.

Etwas überspitzt könnte ich als Zwischenbilanz formulieren, es wäre besser gewesen, den neuen Ressortzuschnitt nach der letzten Wahl beim Ressort „Stadtentwicklung und Verkehr“ vorzunehmen und dieses Ressort den Grünen anzuvertrauen.

Ich habe in den letzten 15 Monaten wirklich sehr auf neue, bahnbrechende oder wenigstens zündende Ideen, Anstöße und Projekte aus dem Umweltschutzressort gewartet. Eine Ampel müßte gerade in diesem Politikbereich im hellsten Hellgrün leuchten. Gefunden habe ich stattdessen ein nachhaltiges, starkes und positives Engagement auf dem Stadtentwicklungssektor; einen echten Push in Sachen Umweltschutz kann ich leider nicht registrieren. Betrachten Sie dies bitte nicht als polemischen Angriff. Beim grünen Regierungspartner war im Dezember '91 bis zuletzt umstritten, ob ein Ressort für Stadtentwicklung und Verkehr nicht die bessere Konstellation aus Sicht der Grünen sei. Die damaligen Befürworter dieser Lösung haben nachträglich Recht bekommen.

Wenn man gegenwärtig eine Analyse der bundesweiten Umweltpolitik vornimmt, kommt man um eine alte, neue Erkenntnis nicht herum: Mit leichter Resignation ist festzustellen: Umweltpolitik wird in Zeiten harter ökonomischer Verteilungskämpfe schnell wieder zum verzichtbaren Luxusgut heruntergeredet.

Beispiel eines Abbaus der erreichten Umweltstandards in der Republik sind die Versuche, durch das Verkehrswegebeschleunigungsgesetz demokratische Beteiligungsrechte der Bürger und zugleich inhaltliche Schutzvorschriften abzuschaffen oder einzuschränken.

Was sagt die Umweltbewegung zur aktuellen Entwicklung? Gibt es sie noch im Jahre 1993? „Greenpeace - ein Mythos versinkt! Ist Greenpeace eine Mogelpackung?“ Solche Schlagzeilen schreckten im Sommer 1991 nicht nur die Verantwortlichen dieser fast legendären Umweltgruppe auf; auch die übrigen Umweltverbände und Organisationen gerieten ins Grübeln. Mancher sprach von einer Sinnkrise der gesamten Ökologiebewegung. Die Diskussionen drehen sich dabei um die Frage, ob die Ökologiebewegung am Ende,

am Scheidewege oder erst am Anfang sei.

Alle die Fragen zeigen, daß eine bestimmte Phase der Umweltbewegung vorbei ist; die neue Gestalt ist noch unklar und muß im Rahmen des neuen Ost- West-Rollenspiels, in den Grenzen eines vereinigten Deutschlands, in der Zeit einer schwierigen ökonomischen Situation und mit einer grünen Partei, die inzwischen Regierungsverantwortung übernimmt, erst neu definiert werden.

Robin Wood und der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) haben ihren Hauptsitz in Bremen. Der weithin bekannte World Wildlife Fond for Nature (WWF) hat seine Zentrale in Frankfurt, hat jedoch 3 große Projekte in Bremen stationiert. Es handelt sich dabei um das Wattenmeerprojekt, das Nationale Umwelt-Erziehungsprojekt sowie das Feuchtwiesenprojekt Wümmewiesen.

Die Umweltverbände und engagierte Einzelpersonen haben den Verein für Umweltrecht mit dem Umweltrechtsinstitut in Bremen gegründet und angesiedelt. Das Umweltressort hat mit Lottomitteln und bei der Anmietung von Brüoräumen geholfen. Der äußerst aktive Landesverband des BUND wurde in Bremen auch mit der Hilfe des Umweltressorts in ein eigenes Domizil gesetzt und kann damit seine Energien auf die inhaltliche Arbeit konzentrieren. Daneben gibt es noch ein ganzes Bündel kleinerer Organisationen und Aktivitäten. Wenn der Wirtschaftssenator in den vergangenen Jahren derartige Ansiedlungserfolge am peripheren Standort Bremen gehabt hätte, brauchten wir kein Sanierungsprogramm für unseren Stadtstaat.

Hauptkritiker und Drängler der Arbeit des früheren Umweltressorts waren die Umweltverbände, die Stadtteilbeiräte und bei den politischen Parteien die Grünen und Teile der SPD; die Medien spielten auch eine wichtige Rolle. Heute läßt sich feststellen: Die Grünen tun sich schwer, ihre eigenen, in Amt und Würden weilenden Gefährten öffentlich zu kritisieren; die Teile der SPD, die sich um Umweltschutz schwerpunktmäßig kümmerten, haben gegenwärtig andere Sorgen, außerdem ist die Umweltschutzarbeit jetzt die Aufgabe des grünen Koalitionspartners; die FDP spielt umweltpolitisch ebenso wie die CDU - allerdings die FDP in Regierungs

verantwortung - die Rolle eines 100%igen Bremsers oder Verhinderers. Wenn die SPD - wie kürzlich geschehen - sich zu Umweltthemen äußert, dann wieder zu dem berühmten Thema Flächenverbrauch und Hemelinger Marsch. Ich kann aus meiner Erfahrung nur sagen, daß ein Ressort auch aus einem Grunde in Senat, Fraktion und Bürgerschaft erfolgreich ist: wenn es nämlich ordentlich Druck und Zunder bekommt und so entsprechend motiviert und/oder geprügelt auftritt.

Während in der letzten Legislaturperiode das Umweltschutzressort ständig in die Offensive ging, nach langem Kampf sogar den Vertrag mit Bremerhaven, durch den die Abnahme des Bremer Restmülls gewährleistet werden soll, durch den Senat und zur Unterschrift brachte, hört man jetzt nur etwas von den Aktivitäten der Leute, die dagegen sind, z.B. FDP und CDU. Schritt für Schritt arbeiten sie daran, den Schließungstermin der Müllverbrennungsanlage zu Fall zu bringen und den Vertrag mit Bremerhaven in Verruf zu bringen. Wenn das so weiter geht, haben wir im Jahr 2020 im Lande Bremen nicht keine, auch nicht nur eine, sondern zwei vollausgebaute und mit üppigen Überkapazitäten, gemessen am bremischen Bedarf, versehene Müllverbrennungsanlagen. Das kann man ja umweltpolitisch und abfallpolitisch für richtig halten. Dann muß man es aber auch sagen und vor allem die Bürger damit konfrontieren.

Ein anderes Beispiel für den mühseligen Fortgang im Bereich der Abfallwirtschaft ist der Umgang mit dem sogenannten Dualen System. Im Amtsblatt vom 3. Februar 1993 kann man eine sogenannte Allgemeinverfügung des Umweltressorts nachlesen: „Hiermit wird auf Antrag des Dualen Systems Deutschlands GmbH vom 31. August 1992 gemäß 6 Absatz 3 der Verpackungsverordnung festgestellt: Im Gebiete des Landes Bremen ist ein System eingerichtet, das eine regelmäßige Erfassung gebrauchter Verkaufsverpackungen beim Endverbraucher oder in der Nähe des Endverbrauchers gewährleistet. Der Bescheid ist sofort vollziehbar.“ Die entscheidenden Worte sind also „ist gewährleistet“. Wenn sich der Bremer Müllbürger dann ratlos umsieht und sich fragt, wo er denn heute seine Joghurtbecher getrennt abgeben und einsammeln lassen kann, wird er verblüfft feststellen, daß noch nicht einmal 10% der bremischen Haushalte an die Verteilung des sogenannten Gelben Sackes angeschlossen sind. Die restlichen 90% aller Haushalte gucken in die Röhre bzw. in ihren leeren Mülleimer, der dann allerdings ziemlich schnell voll wird. Gaukeleien und Illusionen beherrschen also hier die Szene, die Verbraucherzentrale meldet sich protestierend zu Wort, der BUND auch. Die politischen Parteien schweigen allesamt völlig zu diesem Vorgang.

Das Umweltressort ist dann am meisten motiviert, wenn es Zunder kriegt und geprügelt wird.

Sie haben bemerkt, daß ich es ganz bewußt unterlassen habe, Untergangsszenarien vor Ihnen auszubreiten, wie sie häufig in der Umweltschutzdebatte mit erschreckenden Bildern, Zahlen und Fakten vorgetragen werden. Ich spreche diesen dramatischen Szenarien in keiner Weise ihre Berechtigung oder Richtigkeit ab; leider treffen sie nur zu häufig zu. Dennoch denke ich, daß viele im Umweltschutz Engagierte die Wirksamkeit derartiger Katastrophenmeldungen überschätzen: Hocherregte Berichte in den Medien führen dann nach einer Weile lediglich zu der abwertenden Bemerkung: „Als Schadstoff des Monats“ wird vorgestellt usw. . Als mittelfristiges Politikelement halte ich das Setzen auf Angst und Katastrophe für nicht sonderlich geeignet. Die sogenannte Tschernobyl- Landtagswahl im Lande Niedersachsen hat das eindrucksvoll unterstrichen. Nach der Katastrophe gewannen nicht die am Umweltschutz orientierten Parteien, sondern die Bürger wählten in ihrer Angst und Verunsicherung Zuflucht bei konservativen Gruppierungen.

Ein Appell sei mir am Schluß gestattet: Die Hochkonjunktur der letzten Jahre im Sinne leichterer Durchsetzung in der Bundesrepublik oder im Lande Bremen ist für den Umweltschutz vorbei. Lassen Sie sich dadurch nicht entmutigen, sofern Sie in diesem Bereich beruflich oder privat arbeiten, die Jahre des engagierten Kampfes für den Umweltschutz davor waren keineswegs erfolglos. Der harmonisierende Grauschleier des schönen Wortes „Ökonomie und Ökologie sind keine Gegensätze“ wird löcherig und durchsichtig, das ist in meinen Augen jedoch kein Grund zur Resignation, sondern Ansporn für noch mehr Einsatz.

Das Bauressort hat vor kurzem Tempo 100 auf der A1 vorgeschlagen und - nach fast 15 Jahren gescheiterter Anläufe - auch im Senat mit Mehrheit durchgesetzt. Nach Kassel war ich sehr auf das Echo gespannt. Das Ressort erhielt viele dankbare bis begeisterte Zuschriften; die Berichterstattung in den Medien war durchweg positiv. Zu meiner nicht gelinden Überraschung lautete die Überschrift in einem bekannten, kostenlos verteilten Anzeigenblatt (WR vom 10.3.93): „Endlich stoppt Senat Raser“ . Der dazugehörige Kommentar trug den Titel „ES WURDE ZEIT“.

Ich habe daraufhin wieder einmal ein Vorurteil begraben und bedanke mich für Ihre Geduld und Aufmerksamkeit!