Klamottenpulver

■ Premieren-Boulevard: „Othello darf nicht platzen“ / Das Bremer Theater, wie es sinkt und lacht

Kann man sich mit hängenden Armen die Haare raufen? Klar! Kann man mit hängenden Armen über Polstergarnituren hechten? Warum nicht? Kann man mit hängenden Armen Regisseure meucheln? Das darf man nun wieder nicht! Fiele wieder alles auf unsereins zurück: Kritikerpack! Wo die Leute doch gelacht haben und in die Hände geklatscht, wo sie gar nicht mußten! Zum Beispiel an Stellen, wo einer fragte: „Sind Sie ein Schlawiner?“ Und jemand antwortete: „Nein, ich war noch nie in Wien.“ Oder so. Jedenfalls ziemlich so. Und ist das dem Regisseur anzulasten? Eben.

Nein, der Regisseur kann nichts dafür und hat das auch die ganze Zeit aufrechtgehalten. Als hätte er der kleinen Klamotte ihren Klamauk übelgenommen. Vielleicht hätte er lieber ein Trauerspiel gemacht, und es war grade keins frei. Da hat der Tobias Lenel halt das smarte Boulevard-Stücklein „Othello darf nicht platzen“ vom Pennsylvanier Ken Ludwig übernommen — und den fidelen Firlefanz quasi minimalisiert, damit alles ein bißchen wichtiger klinge oder wie Schauspiel. Und da hechtet man eben nicht einfach so über Polstergarnituren und knallt Türen, sondern spricht im Sitzen und Stehen beteiligt Gehaltvolles.

Gut, hier nun eben liegt kein Gehalt vor. Aber Sitzen und Stehen, das geht. Und beteiligt sind acht Personen. Damit etwas irgendwohin strebt, hat man die hintere Bühne schräg ansteigen lassen, das gibt das Schlafgemach der halben Luxussuite, in der vornean alle sitzen oder stehen. Gehechtet wird natürlich auch: hin und her usw... Die Luxussuite hat in etwa das theatralische Talent vom Foyer des Maritim-Hotels: mit einer fächerartig gepolsterten Polstergarnitur, die sich wie eine blutrote Riesenkrake den Raum greift, so daß den Personen außer Sitzen und Stehen auch nicht viel übrigbleibt. Dazwischen ist abgeteiltes Gestänge bis zur Decke, und alles zusammen sieht aus wie Mondrian bei Dodenhoff.

Hier nun also soll ein extravaganter Tenor von außerhalb, genauer Italien, die langweiligen Aufregungen rund um einen Theaterdirektor zum Sieden bringen. Die Langeweile kommt gut rüber: gleich zu Anfang mopsen sich zwei ganz lange. Zuerst, genau, im Sitzen, dann im Stehen. Er ist der hoffnungslose Sekretär, sie das hoffnungsvolle Töchterlein des Direktors. Jetzt muß nur noch irgendwas schieflaufen, am besten der Tenor, und schwupp ist die Pasta zur üblichen Spaghettiverwicklung fertig. Das kocht sich doch von alleine, muß der Regisseur gedacht haben. Und wenn's zu doll blubbert, dann lassen wir wieder eine Weile die Arme hängen und reden hin und her usw., die Dialoge sind ja doch ganz witzig.

Und so schleift, was manchmal wie von fern geschliffen klingt, unten am Boden; und manchmal tritt einer aus Versehen drauf. Aber auch gebrüllt werden muß oder sogar gesungen. Das erschreckt gleich alle so, daß sie wieder eine längere Sitzpause brauchen zur Entspannung. Und weil die Polster so riesig sind, verlieren wir sie ein bißchen aus den Augen, aus dem Sinn. Einmal fällt das Wort Arschloch, so daß das Publikum zuckt; so leicht geht also eigentlich immer noch Tabubruch.

Damit wir trotz diverser Handgemenge auch alle Figuren unterscheiden können, haben der Tenor und seine Ehemama einen rührend radegebrochenen Akzent. Der klingt wie der kleine Italiener aus den 50ern, als er noch Eis verkaufte vom Handwägelchen. Und wirklich sieht unser Star auch wie Rita Pavone aus. Und nicht wie Pavarotti, von dem beispielgebend das Programmheft wimmelt. Die hetärische Gattin macht den Umfang wieder wett und wirkt in ihrer geifernden Diveneifersucht so mitreißend losgelassen wie eine Baggerschaufel.

Eine Art statisch zappelndes Kasperletheater bewegt sich da zweieinhalb Stunden vor uns, mit zwei bis drei Hauptstoßrichtungen: Hände rauf, Hände runter, seitwärts ausschwenkend. Zum Schluß sitzen wieder welche, stehen danach auf und galoppieren endlich im herzlichen Schlußapplaus von Tür zu Tür, um nochmal deutlich zu machen, daß es sich hier um galoppierende Verwechslungen gehandelt hat. Da lassen auch wir die Hände hängen beim Klatschen. Claudia Kohlhase