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Anything goes

■ Out to Lunch zeigt „Baby with the Bathwater“

Neurosen, Komplexe und andere seelische Blessuren finden ihren Ursprung oft im zarten Kindesalter – das wußten schon die alten Psychoanalytiker zu berichten.

Heutzutage ist dieses Wissen Allgemeingut. Der Gang zum Psychiater ist oft nicht mehr nur Mittel zum Zweck, sondern gehört in den intellektuellen Kreisen der westlichen Welt zum guten Ton. Dabeisein ist alles, Therapie Modegag – und das besonders in den USA und dort speziell in New York, wenn man Filmemachern wie zum Beispiel Woody Allen Glauben schenken darf.

Ein anderer New Yorker, Christopher Durang, hat dem dekadenten Therapieverhalten seiner Mitmenschen bereits ein ganzes Bühnenstück gewidmet: „Beyond therapy“ („Trotz aller Therapie/ Therapie zwecklos“), schrill verfilmt von Robert Altman mit Jeff Goldblum in der Hauptrolle.

Die englischsprachige Theatergruppe Out to Lunch, die sich bislang durch eigene Produktionen in Berlin einen Namen gemacht hat, bedient sich diesmal eines Stückes von Christopher Durang. In „Baby with the Bathwater“ thematisiert der Amerikaner weniger Therapien und psychopathische Therapeuten, sondern packt das Übel bei der seit Freud gemeinhin bekannten Psycho-Wurzel: Die Eltern sind an allem schuld.

Zwischen rosa Ehebett und himmelblauer Babywiege wächst Daisy bei Out to Lunch auf, oder „anything“, wie die Eltern ihren Zögling zunächst nennen, weil irgendein Psychoguru ihnen glaubhaft gemacht hat, daß sich das Geschlecht des Kindes erst mit der Zeit „herauskristallisiere“. [Pädagogisch gut unterrichtete Kreise werden sich jetzt sicher gern an das „Baby-X-Experiment erinnern, und das ist auch gut so.d. Red.]

Helen und John (Leah Griesman/ Ronan Grealy) sind wahrhaftig nicht das, was man sich gemeinhin unter fürsorglichen Eltern vorstellt. Das Geschreie nervt, stört den ehelichen Alltag in seiner Deformation und führt zu pädagogischen Abnormitäten.

Auch ihre Nanny (John Lambert) kann dabei nicht helfen. Ungebeten schneit sie ins Haus, vollzieht einige abstruse Erziehungsmaßnahmen und hält Vorträge über den Unsinn monogamer Beziehungen. Als Daisy dann im zarten Alter von fünfzehn Jahren feststellt, daß sie eher ein „John“ ist, wachsen ihr/ihm die Probleme verständlicherweise über den pubertären Kopf.

Regisseur Simon Newby- Koschwitz erlaubt seinen Schauspielern jedmögliche Überzogenheit und Schräge, und nur so kann dieses Stück auch funktionieren. Was bei Out to Lunch so schwarzhumorig präsentiert wird, ist ähnlich wie bei „Beyond therapie“ nur einen Schritt weit entfernt vom kompletten Wahnsinn, einem Wahnsinn, der sich nicht als Extrem versteht, sondern der in seiner alltäglichen Normalität begründet ist.

Was in der ersten Hälfte dieser Aufführung noch als Familienposse so schauerlich hausbacken amerikanisch daherkommt, findet in der zweiten die logische Konsequenz – die Therapie, versteht sich, für Daisy (oder John, oder wie auch immer), deren Sitzungen bei Newby-Koschwitz an finsterste Kellergewölbenverhöre erinnern. Und die letztendlich auch nach dem soundsovielhundertsten Male gar nichts bewirken.

Außer einem neuen wehrlosen Opfer, dem Baby von Daisy oder John, oder wie auch immer. Anja Poschen

Out to Lunch: „Baby with the Bathwater“ von Christopher Durang; Regie: Simon Newby- Koschwitz; mit Leah Griesman, Ronan Grealy und John Lambert.

Donnerstags bis sonntags um 20.30 Uhr im Theater Freunde der Italienischen Oper, Fidicinstraße 40.

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