Jagdszenen aus Manhattan

■ „Little Murders“ von Alan Arkin im FSK-Kino

Kinogängern und anderen Menschen, denen Familie mehr als dritter Kreis der Hölle erscheint denn als gelungenes menschliches Experiment, dürfen Alan Arkins bitterböses Opus „Little Murders“ von 1971 nicht versäumen. Für sie ausgegraben haben den scheußlich-schönen Filmstreich die Betreiber des FSK-Kinos, die damit nebenbei ein Schlaglicht darauf werfen, wie sich das gute alte Programm-Kino gegenüber dem arrivierten, nobel gewordenen Off- Kino behaupten könnte.

Koproduzent Elliot Gould spielt in Arkins Filmadaption des Bühnenstücks von Jules Feiffer den phlegmatischen New Yorker Fotografen Alfred. Seine Gruppenbilder mit Familien auf Vernissagen bringen ihm genügend Dollars ein. Bis zu dem Tag, an dem er begreift, daß die Menschen auf seinen Fotos verlorengegangen sind. Mehr noch, er verliert die Lust zu kämpfen, ja überhaupt etwas zu fühlen. Alfred treibt fürderhin durchs Leben. Selbst eine Schlägerei, in die er gerät, weil ein paar knallharten Boys seine Kamera nicht paßt, rüttelt nicht an seiner Lethargie.

In diese Situation schneit Patsy Newquist (Marcia Rodd) hinein, eine ehrgeizige New Yorker Innenarchitektin und von enervierender Logorrhö befallen. Mit ihren 27 Jahren ist sie inzwischen neurotisch genug, um eine gewisse Torschlußpanik irreversibel installiert zu haben. Weder beim Golf, noch auf dem Tennisplatz erwischte sie bisher den Mann fürs Leben. Nur ein anonymer Telefonanrufer scheint Gefallen an Patsy zu finden. Alfred, der Tagträumer, kommt wie gelegen. Und Patsy beschließt umgehend, aus ihm einen vitalen, selbstsicheren Mann zu machen.

Der unvermeidliche Antrittsbesuch bei Patsys Eltern gerät zum Desaster. Mom, im blauen Hänger und mit Betonfrisur, unterzieht Alfred dem familiären Händeschüttel-Test, um nach dem Dinner sogleich staubzusaugen. Und während Daddy eigentlich nur das tragbare TV-Gerät auf dem Couchtisch interessiert, windet sich Patsys durchgeknallter Bruder lustvoll im allgemeinen Desinteresse an seiner Person. Alfred gibt auf. Doch geheiratet wird. Nach der für alle Beteiligten verwirrenden Zeremonie macht sich das Eheende auf undelikate Weise breit: Die treffsichere Kugel aus dem Gewehrlauf eines New Yorker Killers bohrt sich unschön in Patsys Rücken.

Niemand interessiert sich sonderlich für ihren Tod. Mom und Daddy verkleiden ihr Appartement mit Eisenplatten gegen Attentate, Alfred streift mit seiner Kamera im Central Park umher, ein paranoider Detektiv (Alan Arkin) fängt das Heulen an, rien ne va plus. Der Ausweg des allgemeinen und besonderen Irrsinns liegt im Lauf eines einfachen Repetier-Gewehrs, rausgehalten aus dem Wohnzimmerfenster im 16. Stockwerk eines Wohnhauses.

Das geniale Regiedebüt des Broadway-Schauspielers Alan Arkin treibt bösartige und saukomische Scherze mit dem american way of life. Der war Anfang der Siebziger längst auf den Hund gekommen. Hellseherisch analysiert Arkin den Zustand einer Gesellschaft, die sich selbst längst entglitten war. Er befand sich damals in guter Gesellschaft: New Hollywood schmiedete den Affront gegen die ausgezehrten Major-Studios. Mit geringem Budget, bissig und hungrig gelang ihnen Kino zu machen, daß sich einen Dreck um Gott und Teufel scherte. John Schlesinger drehte „Midnight Cowboy“ (1969), Robert Altman „M.A.S.H.“ (1970), Jerry Schatzberg „Panic in Needle Park“ (1971), und in Mike Nichols Antikriegs-Satire „Catch 22“ brillierte Alan Arkin ein Jahr zuvor in der Rolle des Captain Yossarian. Zynisch überläßt Arkin die „Little Murders“ ihrem verdienten Ende. Kameramann Gordon Willis verwandelt das Stadtneurotiker-Ambiente New York zum Versuchsviereck, das man keiner Laborratte wünschte. Subtile und rohe Gewaltpartikel nisten behaglich im familiären Regelkreislauf. Was 1971 wie eine überhitzte Satire anmuten mußte, stößt einem anno 1993 auf wie zwei Pfund rohes Sauerkraut. Yvonne Rehhahn

Bis 31. März im FSK, Wiener Straße 20, OF