Miese Geschichte um einen Klacks

In der Schauspielschule „Etage“ ist die szenische Pantomine „Oase im Augenblick“ abgesetzt worden, weil es sich zu kritisch mit dem Islam, dem alten und dem neuen Rassismus in Deutschland auseinandersetzt  ■ Von Petra Lüschow

Eigentlich war die Premiere der szenischen Pantomime „Oase im Augenblick“ für den 26. März in der Etage fest eingeplant. Der Schauspieler Shahbaz sollte sein Stück, mit dem er kurz zuvor seine Abschlußprüfung als Pantomime erfolgreich bestanden hatte, zur Aufführung bringen. Plakate und Eintrittskarten, aus eigener Tasche bezahlt, waren bereits aufgehängt und verschickt.

Die „Oase im Augenblick“ reflektiert über das Fremdsein zwischen zwei Welten: Ein Iraner, in die Bundesrepublik geflohen, blickt auf die ihm fremd gewordene Heimat. Nach Aussagen des Autors Shahbaz kritisiert das Stück die politischen Zustände im Iran und den Faschismus in der BRD.

Aber wenige Tage vor der Premiere wurde das Stück von der Leitung der Etage abgesetzt. Die Etage machte in ihrer ersten lapidaren Begründung gegenüber der taz technische und organisatorische Gründe für die Streichung geltend. Der Schauspieler Shahbaz schildert das allerdings etwas anders. Nachdem er der Etage vorsorglich nahegelegt hatte, bei den Aufführungen wachsam zu sein, weil wegen des Themas unter Umständen mit Störungen zu rechnen sei, muß der Theaterleitung wohl etwas mulmig geworden sein.

Man zeigte Shahbaz einige Tage später ein Fax, in dem angeblich die Kritik am isalmischen Fundamentalismus in Folge zu einem möglichen Salman-Rushdie- Schicksal dramatisiert wurde. Der Inhalt des Stückes sei darüber hinaus dazu angetan, die Ausländerfeindlichkeit gewisser Deutscher zu fördern. Den Namen des Autoren dieses merkwürigen Orakels durfte der Künstler allerdings nicht erfahren.

Die Schulleitung wollte angesichts dieser Warnung keiner öffentlichen Premiere in ihren Räumen zustimmen und stellte dem Schauspieler nur ersatzweise die Möglichkeit in Aussicht, das Stück als geschlossene Veranstaltung vor ausgesuchter Presse und der Berliner Ausländerbeauftragten zur Vorstellung zu bringen. Dieses halbherzige Angebot erschien Shahbaz als Köder, um den Konflikt möglichst sang- und klanglos zu beenden. Ihm ging es um nicht mehr, aber auch nicht weniger als darum, sein Abschlußstück auch zum geplanten Termin öffentlich aufzuführen.

Die Etage sei seinen politischen Themen schon öfter mit Unverständnis begegnet, erzählt der Schauspielabsolvent. Warum er immer so problematische Themen wähle, wurde er von der Schulleitung gefragt. Shahbaz hält dagegen, daß er als politischer Flüchtling aus dem Iran in der Bundesrepublik zwangsweise mit diesen Themen konfrontiert sei.

Sein Vorschlag, die womöglich inkriminierte Stelle – ein Gedicht, das den Umgang mit Frauen im Islam kritisiert – zu streichen, um die Vorstellung nicht platzen zu lassen, stieß auf wenig Gehör. Shahbaz' Beharren auf die verabredeten Spieltermine legte die Etage dem Schauspieler nun als Mangel an Kooperation aus. Sämtliche Probentermine wurden ihm gestrichen.

Eberhard Kube, Fachlehrer in Shahbaz' Prüfungsausschuß, bezeichnet die ganze Angelegenheit als „Katastrophe“. Die Angst vor Übergriffen sei völlig übersteigert, weil der kritische Impetus des Stückes gegen den Islam vergleichsweise harmlos sei. „Alle Welt“, so Kube, „setzt sich für Rushdie ein und dann passiert so eine miese Geschichte um so einen Klacks.“

Auch Michael Rusert, ein Schauspieler des Stückes, bezeichnet die Reaktion der Schulleitung als lächerlich. Nach Jahren mit unpolitisch-seichten Inszenierungen sei die „Oase im Augenblick“ das erste Stück mit vergleichsweise kritischem Inhalt. Gegenüber der taz mußte der Schulleiter Nils Zdenněk Kühn schließlich zugeben, daß nicht etwa technische, sondern sehr wohl inhaltliche Gründe zur Absetzung des Stückes führten. Er wirft Shahbaz vor, mögliche Reaktionen, die die „Oase im Augenblick“ im Publikum hervorrufen könne, nicht richtig einzuschätzen. In diesem Zusammenhang verweist Herr Kühn gerne auf seine Aufgabe als Schulleiter: „Wenn ich höre, daß in Deutschland jemand geschlagen wird, weil er englisch spricht, dann habe ich doch Verantwortung für die Etage.“

Warum diese Erkenntnis allerdings ausgerechnet eine Absetzung sinnvoll macht, kann Herr Kühn auch gegenüber der taz nicht plausibel machen. Die Schulleitung sei für die Aufführung, wiederholt er, aber im Moment, aufgrund der Abschlußprüfungen, wirklich nicht in der Lage, entsprechende Maßnahmen zu schaffen, die einen reibungslosen Verlauf der Vorstellung garantieren können.

Der Schauspieler Shahbaz, der das Verhalten der Etage als subtile Form von Zensur bezeichnet, hat inzwischen eine einstweilige Verfügung beim Amtsgericht erwirkt, mit der er sein Stück prinzipiell doch zeigen könnte. Aber Herr Kühn erteilte seinem Absolventen erst einmal Hausverbot, die Generalprobe, die für Donnerstag abend geplant war, mußte so ebenfalls ausfallen. So hat die Etage nun wirklich erreicht, was sie wollte. Denn, so Michael Rusert: „Ohne Probe keine Premiere.“