Nachruf auf eine Errungenschaft

■ Erinnerung an einen Bau, der keine Zukunft hat: Das DDR-Vorzeigeobjekt „Palast der Republik“ ist ein häßlicher Klotz – und war dennoch für viele Ostberliner ein wichtiger Ort

„Hier legte Liebknecht einst in heißen Tagen / das Fundament für eine bessere Welt. / Wir haben drauf gebaut und dürfen sagen: Dies ist der Baugrund, der uns sicher hält.“

(Richtspruch auf den Palast der

Republik vom 18. November 74)

Nun wird er also doch abgerissen, der „Palast der Republik“, von der führenden Klasse, „unseren Menschen“, zu DDR-Zeiten grienend „Palazzo Prozzo“ tituliert. In jeder Beziehung „Prozzo“ war dieses „Symbol der Macht der Arbeiterklasse“ tatsächlich der Sozialismus als prunkvolles Haus, als betretbarer Superlativ, wie man es bis dato nicht kannte. Eine Ära sozialistischen Gestaltens war eingeläutet. Die DDR wollte was hermachen. Eines der Worte dafür hieß „Errungenschaft“.

Man war öffentlich stolz auf den Palast der Republik, diesen eigentlich unschönen Klotz aus Naturstein, Aluminium und sonnenlicht- reflektierendem Thermoglas. Ein Reiseführer des VEB Tourist Verlags, der keine acht Jahre im Schrank gilbt, rühmt sogar die hervorragende „Garderobenablage für bis zu 5.000 Kleidungsstücke“ und die 16 „Fahrtreppen“. Der Palast war etwas ganz Großartiges, nicht nur baulich. Unmittelbar nach den „X. Weltfestspielen der Jugend und Studenten“ in Berlin, präzise am 13. August 1973, begannen Arbeiter und NVA-Soldaten mit dem Ausschachten. Die „wachsende Bedeutung Berlins als sozialistische Metropole“, „gerade angesichts der unmittelbaren Konfrontation mit Westberlin, der östlichsten Speerspitze des Imperialismus in Europa“, fand seine städtebaulich-architektonische Krönung im staatspolitisch geladenen Bau dieses „Hauses des Volkes“ (Erich Honecker), das nach tausend Tagen Bauzeit am 23. April 1976 feierlich übergeben wurde. Das „Ensemble Palast der Republik und Dom“ stand für das Nebeneinander von Fortschritt und Reaktion. Im Palast tagte die Volkskammer in einem eigenen Plenarsaal (787 Plätze), im Großen Saal (5.000 Plätze) wurden drei SED-Parteitage abgehalten. Wir kamen in den Schulferien und auf Klassenfahrten und bestaunten, was das „Entwurfskollektiv“ geschaffen hatte. 180 Meter breit und 85 Meter tief, mehr als tausend Räume, „Funktions- und Erlebnisbereiche“ beherbergend, darunter 13 Restaurants, die „allen Besuchern zugänglich waren“ (1.500 Plätze) und vor denen wir stoisch aufs Plaziertwerden warteten. Vorher passierten wir die fünf Meter hohe gläserne Blume im Foyer, die als Symbol ästhetischer Wunderschönheit in sämtlichen Zeitungen der Republik abgebildet war, und stiegen unter unzähligen Kugellampen über die glänzenden Treppen hoch zur Palastgalerie, die mit eigens dafür in Auftrag gegebenen Werken sozialistischer Bildkunst bestückt war.

Als ich 1979 „in die Hauptstadt“ umzog, hatte ich ebendort meine erste Berliner Verabredung unter etwas großflächig Rotem (von Siegfried Mattheuer?). Ein Jahr später eskortierten vier schweigsame Anzugträger das junge Glück in einen der Palast-Keller, nachdem wir das „Haus des Volkes“ todesmutig in baggerkettenumwickelten Tarnklamotten aufrütteln wollten – so kläglich in unserem demonstrativen Symbolismus. Wir beide durften und wollten diesen großen Wurf an „gesellschaftlicher Einrichtung“, in dem sich das gesetzmäßige Voranschreiten selbst feierte, nie wieder betreten, aber ich ging, drei, vier Jahre später und weniger auffällig angezogen, doch hin. Zum Konzert von Tangerine Dream in den Großen Saal, wo ein paarmal im Jahr Stars aus dem NSW (nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet) auftreten durften. Am Eingang drängten sich Leute, denen Tränen der Enttäuschung in den Augen standen, weil sie keine Karte mehr für Roger Chapman, Billy Bragg oder Memphis Slim abbekommen hatten. Selbst der unsägliche Hermann van Veen war ausverkauft. Die strahlenden Kartenbesitzer verschwanden in den steril-pompösen Sesseln, Funken sollten nicht überspringen. Hier rockten die Vorzeige-Ostler Silly, Karat und die Puhdys „für den Frieden“, und wieder später hopste vor fassungslosen Ordnern alles zu „anderen Bands“ wie AG Geige, den Skeptikern oder Expandern des Fortschritts auf den Polstern. Der Name dafür war „Woche der Jugend“, ein Versuch, das Zersetzende (ach wie naiv) in Plenarsaalatmosphäre als „gepflegte Beatmusik“ zu domestizieren. Egal; wer wollte denn, froh über die schrillen Töne, schon an so etwas denken. Man besuchte die Vorstellungen und Lesungen (Günter Grass in der DDR!) im „tip“, dem Theater im Palast, Ausstellungen wie die von Loriot galten als besondere Leckerbissen. Man tanzte, schick gemacht, im „Jugendtreff“, kegelte im „Spreebowling“ und betrank sich ordentlich in der Bierbar. Die Studenten von der Humboldt-Universität gegenüber aßen im „Espresso“ ihr Ragout Fin oder gedeckten Apfelkuchen – das synthetische Zentrum wurde nicht geliebt, aber angenommen und funktionierte in seiner kalten Pracht als sozialer Raum auf merkwürdige, mir immer noch unerklärliche Art. Nun soll Geschichte wieder einmal symbolisch liquidiert werden, soll ein weiteres Gesicht des Ostens, „die Heimstatt unserer sozialistischen Kultur, von Frohsinn und Geselligkeit“ (Honecker) verschwinden, um einem gesünderen, noch neueren, noch großartigeren Palazzo Prozzo zu weichen. Wenn ich eine Mark übrig hätte, würde ich den alten kaufen. Anke Westphal