Echte Fründe ston zusamme?

1. FC Köln – Wattenscheid09 3:0/ Man stelle sich vor, der 1. FC Köln, Urgestein der Bundesliga, steigt ab und keiner guckt hin  ■ Aus Köln Katrin Weber-Klüver

In den Tagen vor dem Spiel gab es Menschen in der Stadt, die ganz und gar unter dem Bann dessen standen, was am Sonnabend zwischen 15.30 und 17.15 Uhr im Müngersdorfer Stadion zu Köln passieren würde. Einer erklärte, er werde statt des obligaten Stadionbesuchs einen Spaziergang machen – und zwar ohne Radio: „Ich halte das nicht aus.“ Der treueste Fan, ein Nervenbündel.

Andere bekannten, sie würden ihren ebenfalls obligaten Freizeitkick im städtischen Grüngürtel nach Jahren stoischer Ignoranz des Profifußballs erstmals vorverlegen, um genau das Gegenteil zu tun. Nämlich: Als Zuschauer im Stadion präsent zu sein, wenn der 1. FC Köln, Gründungsmitglied der Fußballbundesliga, gegen die SG Wattenscheid09, Emporkömmling im dritten Erstligajahr, antrat. Der Kölner Express kündigte die Begegnung als „Endspiel“ an, und zwar das erste in einem „Drama in 12 Akten“. Analyse: „So dramatisch schlecht war Kölns Situation im Abstiegskampf bislang noch nie.“

Und weil nur Boulevardzeitungen in derart historischen Momenten wie dem Aufeinandertreffen des 16. (Köln) und des 15. (Wattenscheid) der Tabelle am 22. Spieltag der 30. Bundesligasaison wirklich auf Ballhöhe sind, war Hilfeschrei und Hilfeleistung für die lokale Instinktpresse eins: „Rettet den FC – eine Aktion des Express“.

An die Emotionen der potentiell einigermaßen lokalpatriotischen und mindestens reflexartig fußballinteressierten Leser appellierend, nahm die Kampagne ihren Lauf mit Bekenntnissen lokaler Prominenz wie Oberbürgermeister und Regierungspräsident. Allesamt folgten die Paten der Rettungsaktion dem Tenor: „Der FC darf nicht absteigen“, weil das „eine Katastrophe für die ganze Region“ wäre.

Der 1. FC Köln tat derweil sein bestes, der Medienaktivität einigermaßen ebenbürtig zu sein, beteiligte sich mit Preisen (z.B. zwei Stofftiere „Geißbock Hennes“) an den Rettungsgewinnspielen der Zeitung – und brachte 7.000 Freikarten unters Volk. Ob des offenkundig eindringlich genug vermittelten Ernstes der Lage freilich zögerten Tausende von Kölnern nicht, ihr Engagement durch das Zahlen von echtem Eintrittsgeld zu demonstrieren. 33.000 Zuschauer pilgerten schließlich ins Stadion, doppelt so viele wie in den meisten Saisonspielen zuvor.

Da saß sie also, die Masse der mobilisierten Unterstützer. Und nun? Puff – herrschte betretene Stille im Stadion. Da hockten die Horden von Rheinländern, die Winter für Winter ihre Karnevalstauglichkeit unter Beweis stellen, und wußten nichts mit sich und noch weniger mit dem FC anzufangen. Da schwenkte niemand Fahnen, da skandierte keiner FC- Rufe, nicht mal die gängigen, in dieser Stadt immer gern angestimmten Schmachtfetzen „Echte Fründe ston zusamme“ und „Ich bin e Kölsche Jung“ fielen dem Reserve-Publikum ein. Warum hätte es auch anders sein sollen? Niemand außer den Beschalten in den beiden Fanblöcken war hier ehrlich erregt, niemand nervös angespannt. „Der FC darf nicht absteigen!“ – Fragezeichen.

Was würde der beschworenen Region denn im Falle des Falles passieren? Eben: Nichts. Eine existentielle, weil wirtschaftliche oder imagetragende Bedeutung hat ein Erstligaverein in Dresden oder Bochum, aber nicht in Köln. Hier wäre der Abstieg allenfalls peinlich, weil alle anderen westdeutschen Millionenstädte einen Erstligisten haben. Aber eine Rezession oder kollektive Depression am Rhein wäre durch einen Abstieg des dreifachen deutschen Fußballmeisters wohl kaum zu erwarten.

Und weil der Profifußball in Köln nichts anderes als die Freizeitbeschäftigung einiger tausend ist, war der 3:0-Sieg über Wattenscheid auch nicht von kollektivem Taumel getragen. Das Spiel war ermüdend schwach, die Gäste nach Platzverweis in der 30. Minute gegen Günter Hermann nur noch zu zehnt und daher auch eine Viertelstunde vor Schluß platt. In dieser Minute brach die Sonne durch die Wolkendecke, und Kölns Trainer Jerat wechselte Uwe Fuchs ein. Sechs Minuten später hatte der Stürmer zwei Tore geschossen. Danach, so wird berichtet, hat der spielentscheidende Joker vor Glück geweint.

Vielleicht standen auch dem eingangs erwähnten Fan Tränen der Rührung in den Augen. Sonst noch jemandem?