HipHop salonfähig

■ Jazz, Coolness, Eleganz, Intellekt, Revolution — Neues für den Kulturfreund

Nach der Rock-Szene hat sich in den letzten Jahren auch die HipHop-Szene in zahlreiche Sub-Szenen aufgefächert (und zudem internationalisiert), so daß es von hier aus nur noch mit beträchtlichem Aufwand möglich ist, die Haltungen der verschiedenen posses und ihre Beziehungen untereinander einigermaßen zu verfolgen. Die Aufmerksamkeit und das Wohlwollen des durch Rock geschulten deutschen Publikums – gesellschaftskritische Kulturfreunde meistens, wenn Sie wissen, was ich meine – richtete sich daher der Einfachheit halber vor allem auf zwei Phänomene: einerseits auf den Jazz-HipHop, der sich um 1990 mit Gang Starr, A Tribe Called Quest und De La Soul etablierte, als intellektuell und feinsinnig galt und absolut konsensfähig war; andererseits auf den oft eher pauschal wahrgenommenen „militanten Flügel“ von Public Enemy bis Ice Cube und Ice-T, den eine Art revolutionäre Aura umgab. Während der Jazzgedanke bei der erstgenannten Gruppe längst zu einer native-tongue-Idee transformiert wurde, ist mittlerweile auch der Saloneffekt, der sich aus dem Kokettieren mit einer vornehmlich gegen Weiße gerichteten Militanz von Afroamerikanern ergab, durch den entstandenen Bekenntniszwang in der „Gewaltfrage“ (wozu noch immer wenige etwas Durchdachtes zu sagen wissen) deutlich geringer geworden.

Die Digable Planets bereichern dieses Feld mit ihrem Debütalbum „Reachin' (A New Refutation Of Time And Space)“ gleich um einen durchaus salonfähigen – ganzen Insektenstaat. Und das nicht nur im einfach metaphorischen Sinn. Ihr unaufgeregt-verspielter, baßlastiger Jazz-HipHop, der sich auf A Tribe Called Quest ebenso bezieht wie auf „richtigen“ Jazz sowie Soul und Funk der Sechziger und Siebziger, wurde in der Dancefloor- Presse als „definitive Vibe-Packung“ gepriesen, während an seriöserer Stelle immerhin von einer „willkommenen Alternative zum Gangsta-Rap“ geschrieben wurde. Der Witz an den Digable Planets, die dem Umfeld des New Yorker Clubs „Giant Steps“, Ableger des Talkin'-Loud-Labels, angehören, ist allerdings weniger die ebenso korrekte wie freundliche Late- Night-Wegschlummer-Musik denn die Konstruktion der Band als Insektenstaat (mit den Bürgern Ladybug, Butterfly und Doodle Bug) im Kampf gegen Unterdrückung und zur Verteidigung einer Gemeinschaft – unter Berufung auf einen unserer hiesigen „Homeboys“ namens Karl Marx.

Den zu solch ambitionierten Albernheiten entgegengesetzten Standpunkt repräsentieren innerhalb des Talkin'-Loud-Jazz-Hop- Kontextes die Londoner Brothers Like Outlaw (deren erste Platte noch unter dem Namen Outlaw Posse erschien). Titel der Neuen: „The Oneness Of II Minds In Unison“. Weniger jazzlastig und verspielt als die Digable Planets, aber fetter und souveräner, suchen sie zwar keinen Anschluß an eine aktuelle HipHop-Diskussion, schlagen aber von England eine überraschende Brücke zu den auf interessante Weise unangreifbar gewordenen, gewissermaßen „klassisch“ eleganten und sophisticateden US- Acts wie Eric B. & Rakim oder EPMD. Gleich im ersten Stück – eine taktische Meisterleistung – werfen die Brothers Like Outlaw dabei ein Steely-Dan-Sample so kongenial in die Runde, daß kein wahrer Salonfreund diese so schnell wieder verlassen mögen wird. Schließlich kann ein Satz wie „I live for a better day the nation will awake/I'm kickin' jazz“ manchmal recht überzeugend klingen.

Mit dem Intellektuellen-Etikett schließlich kommt einer daher, der nicht mal richtigen HipHop macht: DC Basehead alias Michael Ivey. Ein Ehrentitel, der ihm (abgesehen von Verlegenheits-Einordnungen in einen „Alternative Rap“-Kontext) vermutlich deshalb verliehen wurde, weil man ihm etwas zugestehen muß, was bislang im HipHop höchst selten zu finden war: Verschrobenheit. Wenn man seine neue Platte „Not In Kansas Anymore“ beschreiben will, kommt man dann auch an einer Reihe von „irgendwies“ nicht vorbei: irgendwie relaxed, irgendwie slick, irgendwie cool, das kennt man soweit ja noch, aber auch irgendwie nach „Konzept“ klingend, ein aufwendiges Gebastel aus komischen Effekten wie Kneipenszenen, Polizeisirenen oder Radioschnipseln, HipHop-Grooves mit Rockgitarren, plötzlich abbrechende, tja, Songs und eine dunkel brabbelnde Stimme darüber. Auf bestimmte Weise entdeckt DC Basehead damit für den HipHop eine Position, die im weißen Rock einstmals sehr geschätzt war, nun aber ziemlich selten geworden ist: die des Eigenbrötlers, des genialen Außenseiters, der sich nicht einmal um eine identifizierbare Konstruktion bemüht, wie es seine wohl nächsten Verwandten, De La Soul, mit ihrem „Daisy Age“ noch machten.

Und wenn die Digable Planets trotz eines insektenmäßigen Zusammentragens von Credibility- Beweisen ihre Platte mit einem glaubhaften „It's good to be here“ beginnen, die Brothers Like Outlaw dazwischen in Ruhe den Jazz kicken, dann erlaubt sich Ivey, alles mit einem ziemlich beiläufig gemurmelten „Do you wanna fuck (or what)?“ abzuschließen. Michael Nauert

Digable Planets: „Reachin' (A New Refutation Of Time And Space)“. (WEA)

Brothers Like Outlaw: „The Oneness Of II Minds in Unison“. (Island/BMG)

DC Basehead: „Not In Kansas Anymore“. (BMG)