Alltagskiste

„Gelb bumst Rosa“, etc.: C.O. Paeffgens „Objekte in Farbe“ in der Kestner-Gesellschaft Hannover  ■ Von Michael Stoeber

Selten hat man in den letzten Jahren in der hannoverschen Kestner-Gesellschaft eine fröhlichere Ausstellung gesehen. Die Wände des Hauses hat eine muntere Population von Obst- und Gemüsekisten besetzt, deren Bodenflächen mit pastos aufgetragener Acrylfarbe bedeckt sind – darunter viele freundliche Pastelltöne: ein helles Blau, ein sanftes Rosa, ein lindes Grün, ein bonbonfarbenes Pink oder ein warmes Gelb. Sie bringen einen Hauch mediterranen Lichts und südländischer Leichtigkeit in das eher streng und kühl konzipierte Ausstellungsdomizil, eine Atmosphäre zwischen italienischem Gelato und buntem Corso. Die Arbeiten sind voller Anmut und Grazie, und mit Schiller möchte man wieder daran glauben, daß die Kunst heiter und nur das Leben ernst sei.

Der Kölner Künstler Paeffgen, mit den im Dunkel ruhenden Vornamensinitialen C. O., stellt aus. Geboren 1933, absolvierte er das erste juristische Staatsexamen, bevor er sich der Kunstpraxis zuwandte. In Hannover hat er seine Obstkisten zu größeren Ensembles zusammengeleimt. Mal hängen sie wie rutschende, labile Stelen an der Wand, mal ufern sie in zittrige, unregelmäßige Horizontlinien aus oder türmen sich wie Bauklötzchen zu bizarren Architekturen übereinander. Dabei bilden die unterschiedlich gearbeiteten Bodenflächen der Kisten, ihre geschlossene Form oder ihr offenes Gitterraster, reizvolle Strukturen, die durch Monochromie oder streng abgegrenzte Farbfelder noch akzentuiert werden. Die Anordnung und das Arrangement der Kisten ersetzen den konturierenden Zeichenstift. Kalkuliert forciert Paeffgen dabei bestimmte Assoziationen, was nicht zuletzt der Blick auf die begleitenden Titel lehrt. Ein Kistenarrangement, das an die Tragflächen und die Schnauze eines Fliegers erinnert, heißt „Flugobjekt, in vier Farben angestrichen“. Ein in sattem Van-Gogh- Gelb zugestrichenes, kompaktes Kistenensemble ist mit „Sonnenblumenfeld“ betitelt, eine Reihe blauer Boxen über weißen ergibt einen „Blauen Himmel über vier weißen Häusern“, fünf dynamisch in die Vertikale versetzte Kisten das Bild einer „Tänzerin“. Ein monochromes Gitterraster, das an einen Kopf denken läßt, heißt „Bordeauxrote Maske“. Andere Benennungen sind eigenwilliger, witziger, auch poetischer eingelöst, so wenn sich ein großer Kistenberg über eine kleine zarte Kiste legt und wir zu lesen bekommen: „Gelb bumst Rosa“. Oder wenn drei übereinander montierte Kistenarrangements einen Aufstieg markieren, eine schwindelerregende Passage von der Politik in den Hedonismus, die so manche 68er Biographie in schöner Lakonie abhandelt. Titel: „Von der schwarzen Reaktion über die rote Revolution in den rosa Himmel.“

Aber Paeffgen konturiert mit der Formation seiner Kisten nicht nur ein Thema, sondern, indem er sie in der Tiefe versetzt und so unregelmäßige Oberflächen schafft, gewinnen die Lattenensembles an skulpturaler Qualität. Folgerichtig spricht die Ausstellung von „Objekten in Farbe“. Ob Monochromie oder klar voneinander geschiedene Farbfelder – hier sucht einer Farbklänge zu produzieren in Analogie zu musikalischen Kompositionsverfahren. Durch Paeffgens versetzte Oberflächen meint man die Farbwerte stärker oder schwächer zu erleben, so wie Tonwerte durch rhythmische Intensität in ganze, halbe, viertel Noten modifiziert werden.

Seit der Zusammenarbeit von Schönberg und Kandinsky Anfang dieses Jahrhunderts, die nach einem gemeinsamen Harmonieprinzip von Farb- und Tonklängen suchten, ist dieser Gedanke gängige Münze. Wenn Paeffgen ein Ensemble von drei Kisten in Altweiß, Steingrau und Bordeauxrot miteinander verbindet und von „Kistendreiklang“ spricht, oder wenn er ein Kistenarrangement in zwölf unterschiedlichen Farben „Zwölf Töne“ nennt, setzt er sich bewußt in diese Tradition, ja sucht die koloristisch-musikalische Wirklichkeit zwischen Harmonik und Enharmonik auszuloten. Erlösungs- und Heilsabsichten à la Malewitsch (?) oder Mondrian (?) sind diesem Künstler nicht zu unterstellen. Auch der Verwendung seines poveren Materials, Kisten vom Obst- und Gemüsemarkt, eignet kein prophetischer Gestus mehr. Der Einzug des Mülls unserer Wegwerfgesellschaft in die Kunst, die Nobilitierung des Banalen und seine alchemistische Verwandlung, geht zurück auf Kurt Schwitters und die Dadaisten, Marcel Duchamp und die Pop-art.

Eine Frage bleibt zu stellen. Hat Paeffgen mit dieser so luftigen, so leichten, so poetischen Ausstellung mit früheren Aspirationen seiner Kunst gebrochen? Von seinem immer in größeren Werkgruppen sich präsentierendem ×uvre sind vor allem die Fotoübermalungen aus den 70er und 80er Jahren im Gedächtnis. Damals verändert Paeffgen Bilder aus Zeitungen und Zeitschriften, Wegwerfprodukte der Konsumfotografie, zu neuer Sichtbarkeit. Mit schwarzem Filzstift spürt er krude den Konturen eines Motivs nach. Er vergrößert die solcherart veränderten Vorlagen auf Fotoleinwand, wo er sie teilweise abermals übermalt, um sie schließlich „meine Zeichnungen“ zu nennen.

Der scharfe, schwarze Strich verbietet dem Betrachter jede sentimentalistische Einfühlung ins Sujet und jede Identifikation.

Der Kunsthistoriker Johann Heinrich Müller hat in dieser Werkgruppe den Aufklärer Paeffgen entdecken wollen. Aber vielleicht scheint in ihr auch nur die Sehnsucht nach einer verlorengegangenen Eindeutigkeit auf im Angesicht einer als chaotisch erkannten Wirklichkeit. Beim Blick auf das Gesamtwerk Paeffgens zeigt sich eher ein Künstlerpoet, der eine ganz eigene Ästhetisierung seines Alltags betreibt. Sei es nun, daß er Nippes oder Stoffbahnen in Drahtgeflechten stranguliert oder daß er immer wieder die Mondsichel und das Fragezeichen aus Holz, Stein und Wachs formt oder in Acryl und Bleistift auf Stoff, Papier und Leinwand abbildet. Oder daß er in naiver Manier von Pfeilen durchbohrte Herzen ausstellt und zur Liebe bereite Paare, Panzer und Blumen, Sterne und Phalli, Granaten und Kinderwagen. Immer scheint da einer am Werk, Ironiker und Romantiker zugleich, der künstlerische Schneisen der Selbstvergewisserung zu schlagen sucht im Dschungel einer als verrückt empfundenen Wirklichkeit, auf die er am liebsten – wie so oft in seinen Arbeiten – mit „schön“ oder „Scheiße“ reagiert. Oder, wenn die Dinge gar zu kompliziert werden, mit „schön Scheiße“.