■ Die Anklage gegen Giulio Andreotti – ein Bumerang?
: Hornberger Schießübung in Italien?

Die nicht nur klammheimliche Freude seiner Gegner, daß es den alten Fuchs nun auch erwischt hat, ist verständlich – zu oft hatte man ihn schon auszumanövrieren versucht, zu oft waren die anderen gekippt, zu dreckig schienen seine Hände, und doch klebte Blut und Schmutz am Ende anderswo. Doch die nun erfolgte Anschuldigung wegen Verdachts der Beteiligung an einer mafiosen Bandenbildung könnte sich als schwerster Rohrkrepierer der Reinigungsaktion erweisen, mit der die Staatsanwaltschaften und Gerichte derzeit die Gerontokratie des Landes aufs Altenteil oder in den Knast zu schicken versuchen.

Denn die Vorhalte stehen auf überaus wackeligen Füßen: zwar haben drei Mafia-Aussteiger („Pentiti“) erklärt, man habe sich für den günstigen Ausgang von Mafiaprozessen über den Europaabgeordneten Lima an dessen Parteiflügel in Rom gewandt – und dessen Chef war zweifellos Andreotti. Doch alle drei Geständigen geben nur zufällig aufgeschnappte Äußerungen ihrer ehemaligen Bosse wieder, und nur einer der drei nennt explizit Andreottis Namen. Keiner kennt den Mann persönlich. Da wird es der Ankläger schwerhaben, die Sache selbst bei geneigten Richterohren durchzubringen.

Die Folgen aber wären für ganz Italien verheerend: mit einemmal würden alle Verfahren gegen Politiker – derzeit laufen mehr als zweitausend - diskreditiert, den längst auf eine Generalamnestie drängenden Korrupten und Korrupteuren käme das als Vorwand zupaß, alle Verfahren auf einmal abzuwürgen. Erstaunlich daher, daß der hochangesehene, stets maßvolle neue Generalstaatsanwalt Caselli die Einleitungsurkunde selbst unterzeichnet hat. Möglicherweise hofft er auf einen Domino-Effekt: wie bei anderen ehemals ebenfalls als unangreifbar angesehenen Partei- und Regierungschefs könnte die Einleitung des ersten Verfahrens bisher noch zögernde Zeugen zu Aussagen ermuntern und zu weiteren Ermittlungen führen. Schließlich hatten die Mailänder Untersuchungsrichter auch von Februar bis Dezember 1992 gezögert, ehe sie den ehemals mächtigsten Mann im Lande, Sozialistenchef Bettino Craxi, mit dem ersten formellen Verfahren überzogen – mittlerweile sind es zehn.

Doch da ist ein großer Unterschied: während alle Minister und Regierungschefs normalerweise in ihren Parteien überaus aktiv gewesen waren und so zwangsweise mit illegalen Finanzierungen bekleckert sind, hat sich Andreotti aus der Parteiarbeit immer herausgehalten – „und das ist mein Glück“, hatte er noch vor kurzem in einem Interview gesagt. Die Ruhe, mit der er die Ermittlung nimmt, könnte also, wieder einmal, durchaus gute Gründe haben. Werner Raith, Rom