: Pekinger Winkelzüge
■ Wie Chinas Parlament Jiang Zemin zum Staatspräsidenten wählte
Peking (taz) – Das chinesische Parlament hat am Samstag den 67jährigen KP-Chef Jiang Zemin zum Staatspräsidenten und zum Vorsitzenden der Staatlichen Militärkommission gewählt. Jiang Zemins ohnehin beeindruckende Liste offizieller Funktionen hat sich damit weiter verlängert. Gestern bestätigten die Parlamentarier außerdem Premierminister Li Peng für weitere fünf Jahre in seinem Amt. Von den fast 3.000, normalerweise autoritätshörigen Abgeordneten stimmten 210 gegen den Hardliner, 120 enthielten sich der Stimme.
Bei Jiangs Wahl gab es nur einige Dutzend ungültige Wahlzettel. Auf einem davon stand der Name des zu Zeiten der Demokratiebewegung abgesetzten Parteichefs Zhao Ziyang – und in beispielloser Offenheit wurde diese Stimme vor dem Parlament verkündet, auch wenn in den Zeitungen danach davon keine Rede war. In der Abstimmung zum Vorsitz der Staatlichen Militärkommission tauchte auf zwei Wahlzetteln der Name Hua Guofeng auf – der 1976 nach Maos Tod eingesetzte Parteivorsitzende, der vier Jahre lang erfolglos versuchte, die Partei in den Griff zu bekommen, bevor er seinen Posten an Deng Xiaoping abgab. Die Stimmen könnten von älteren, schon etwas schläfrigen Abgeordneten stammen, die meinten, es sei jetzt immer noch 1976; sie können aber auch als hinterhältige Kritik an Jiang Zemin gewertet werden. Jiang, Politiker ohne Eigenschaften und designierter Erbe des starken Mannes Deng – wie Hua der Erbe Maos war –, wird nicht für fähig gehalten, nach Dengs Tod seine Position behalten zu können.
Das Parlament erörterte auch den Zustand der Wirtschaft. Finanzminister Liu Zhongli beklagte, im Zuge des 12,8prozentigen Wirtschaftswachstums werde Kapital knapp: Das Haushaltsdefizit von 23,7 Milliarden Yuan sei um drei Milliarden höher als vorgesehen, weswegen Geld für Infrastrukturprojekte fehle und die Belegschaften mehrerer Staatsbetriebe ihre Löhne nicht erhalten hätten. Für das laufende Haushaltsjahr sagte Liu ein kleineres Defizit voraus. Die Ausgaben für die Landwirtschaft würden um 9,3 Prozent steigen, für Bildung um 9,8 Prozent. Das Militär bekommt wuchtige 12,5 Prozent mehr – eine überdurchschnittliche Zuwachsrate, wie schon in den letzten Jahren.
Viele Ökonomen halten die Staatsausgaben im Agrarbereich für nicht ausreichend, und einige Bauern könnten sich wünschen, soviel politischen Einfluß zu besitzen wie das Militär. Während der Parlamentssitzung befahlen Partei und Regierung den Dorffunktionären in einem Dringlichkeitserlaß, Chinas 800 Millionen Bauern nicht länger um Geld zu prellen. In letzter Zeit häufen sich Zeitungsberichte über Bauern, die Selbstmord begehen, nachdem korrupte Funktionäre ihr Eigentum als Strafe für nicht gezahlte illegale Gebühren beschlagnahmten. Der neue Erlaß erinnert nun daran, daß höchstens fünf Prozent des Nettoeinkommens der Bauern für lokale Gebühren beansprucht werden dürfen, und warnte vor sozialen Unruhen. Catherine Sampson
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