Räuber und Gendarm in Sachsen-Anhalt

Ein Parlamentsausschuß untersucht, ob Ministerpräsident Münch seinen Stellvertreter Rauls ausspähen ließ, und stößt dabei auf eine Spitzelgroteske nach der andern  ■ Aus Magdeburg Eberhard Löblich

James Bond könnte noch eine Menge lernen, und hätte John Le Carré den Stoff erfunden, er wäre als „hoffnungslos überzogen und unrealistisch“ verrissen worden. Eigentlich sollte nur geklärt werden, ob Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Werner Münch (CDU) im Spätsommer 1991 seinen Stellvertreter, Umweltminister Wolfgang Rauls (FDP), ausforschen ließ. Aber was der für diese Untersuchung zuständige Parlamentarische Untersuchungsausschuß bislang alles zutage gefördert hat, ist ein Agentenkrimi sondergleichen, eine Spitzelgroteske, die den Schluß nahelegt, daß in Sachsen- Anhalt seit der Landesgründung nahezu jeder jeden observiert und ausspioniert hat.

Das Land war kaum gegründet, die Abgeordneten eben gewählt, da wurde bereits der erste Spitzelauftrag vergeben. Der frisch gebackene Ministerpräsident Gerd Gies (CDU) gab dem Sicherheitsberater Klaus-Dieter Matschke eine Liste mit den Namen sämtlicher Abgeordneter des Magdeburger Landtags – verbunden mit dem Auftrag, sie auf mögliche Stasi- Verwicklungen zu überprüfen. Matschke hatte seine Qualifikation bereits unter Beweis gestellt. Ebenfalls im Auftrag von Gies hatte er bei der Überprüfung der CDU-Landtagskandidaten den Hallenser Oberbürgermeister Peter Renger als Stasi-IM geoutet. Renger verzichtete auf das Landtagsmandat und später auch auf die Oberbürgermeister-Kette.

Gies bestritt zwar, Matschke jemals einen Spitzelauftrag gegeben zu haben, aber die Liste, die Matschke dem Ausschuß präsentierte, trägt einen handschriftlichen Zusatz, über den ihre Herkunft leicht zu beweisen ist, glaubt der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, Manfred Püchel (SPD).

Klaus-Dieter Matschke gilt als eine Schlüsselfigur im sachsen-anhaltinischen Ränke- und Agentenspiel. Im Sommer 1990 kam der Frankfurter Detektiv und Wirtschaftsermittler nach Magdeburg, eigentlich, um dort Sicherheitstechnik zu verkaufen. Matschke blieb in Magdeburg hängen, avancierte zum Berater der Polizei und wurde vom damaligen CDU-Innenminister Wolfgang Braun (heute DSU) unter umstrittenen Umständen zum Kriminaloberrat und damit zum ersten Beamten des Landes Sachsen-Anhalt gemacht.

Bespitzelt wurde Matschke aber auch. Und zwar zunächst von Mohamed Mughrabi. Der Jordanier, eigentlich als Hilfe Matschkes nach Magdeburg gekommen, hielt nach eigenen Angaben im Auftrag des Frankfurter Kripomannes Dieter Stennei ein Auge auf Matschke. „Jedesmal, wenn ich nach Frankfurt kam, erstattete ich Stennei meinen mündlichen Bericht, der dann auch protokolliert wurde“, sagte Mughrabi gegenüber dem Ausschuß.

Aber auch Amateurdetektive aus Sachsen-Anhalt selbst setzten sich auf die Spuren Matschkes. Ulrich Levy zum Beispiel, unter Wolfgang Braun zunächst stellvertretender Regierungsbevollmächtigter für den DDR-Bezirk Magdeburg, dann Abteilungsleiter im Magdeburger Innenministerium.

„Bei Nachfragen im Bundesinnenministerium und dem Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz erfuhr ich, daß Matschke Verbindungen zu Verfassungsschutzbehörden und Landeskriminalämtern hat“, sagte Levy in seiner Aussage. „Ich hielt Matschke für gefährlich.“ Bei Mohamed Mughrabi dagegen sah er die Sache nicht so eng. Die vielfältigen Tätigkeiten des Jordaniers als V-Mann für verschiedene Ermittlungsbehörden seien ihm eher als Qualifikation erschienen. So sehr, daß der nach eigenen Angaben sonst so mißtrauische Levy zu Mughrabi nicht nur schnell ein enges persönliches Verhältnis fand, sondern den Spitzel der Frankfurter Kripo auch noch aus der sachsen-anhaltinischen Landeskasse bezahlte.

Matschke dagegen hat nie einen Pfennig vom Land Sachsen-Anhalt gesehen und wurde Ende 1990 auf Anraten Levys fallengelassen wie eine heiße Kartoffel. Für Levy noch lange kein Grund, dem Frankfurter nicht weiter nachzustellen.

Gemeinsam mit Mughrabi versuchte Levy später in einem Düsseldorfer Hotel, Matschke zwei Koffer zu klauen, in denen er „brisantes Material“ vermutete. Aber wie das so ist bei Amateurdetektiven: Die Sache ging schief.

„Seit der Gründung des Landes wird hier wohl nur noch Räuber und Gendarm gespielt“, wundert sich Hans-Jochen Tschiche, der für Bündnis 90/Grüne im Untersuchungsausschuß sitzt. Aber die Zahl der Hobbydetektive im Dunstkreis des Landes steigt weiter. Zu ihnen gehört auch Jürgen Vogel, der Vorsitzende des Bürgerkomitees zur Auflösung der Staatssicherheit in Sachsen-Anhalt.

Der sei irgendwann im Spätsommer 1991 bei ihm aufgetaucht und habe ein Gespräch über Umweltminister Rauls begonnen, sagte Levy. „Er habe zuvor ein tiefgehendes Gespräch mit Ministerpräsident Werner Münch gehabt, in dessen Ergebnis er jetzt die Vergangenheit Rauls recherchiere.“

Im Sommer 1991 waren nämlich Gerüchte über eine angebliche Stasi-Vergangenheit von Rauls aufgetaucht. Quelle: Stasi-Auflöser Jürgen Vogel. Der war nämlich schon im August bei Innenminister Hartmut Perschau (CDU) aufgetaucht und hatte dem geflüstert, daß Rauls der IM Günther gewesen sei und von Mielke und Co. 20.000 Mark jährlich kassiert hat. Noch am selben Tag zog Vogel die Information als „Irrtum“ wieder zurück.

Das Gerücht zog dennoch Kreise und tauchte beim niedersächsischen Verfassungsschutz auf, der die Sache pflichtgemäß ans Kölner Bundesamt weitermeldete. Dessen Präsident Ekkehard Werthebach informierte wiederum Werner Münch.

Dessen Behauptung, er habe die Sache noch im September zu den Akten gelegt, nachdem sich das Gerücht nicht erhärten ließ, bekommt durch die Aussage Levys einen herben Dämpfer. Denn Levy, längst aus dem Staatsdienst entlassen, wurde als Hobbydetektiv im November 91 noch einmal ins Gästehaus der Landesregierung bestellt. Dort präsentierte ihm der Sonderbeauftragte der Staatskanzlei Rolf Schnellecke einen Hefter mit einem Vermerk Jürgen Vogels. Unter Bezug auf das Gespräch mit Levy beschuldigte er Rauls erneut der Stasi- Vergangenheit. „Herr Ministerpräsident möchte wissen, ob der Inhalt dieses Schreibens den Tatsachen entspricht“, hat Schnellecke nach Angaben Levys gefragt. „Ich habe das zurückgewiesen, weil ich keinerlei Informationen über eine Stasi-Verbindung von Wolfgang Rauls habe und das Vogel auch gesagt habe“, so Levy.

Parallel zu Schnellecke recherchierte auch der Resident des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Magdeburg, Jürgen Schaper, in der Vergangenheit von Rauls – ebenso vergeblich wie Vogel und vor allem ohne zu ahnen, daß er mit der ursprünglichen Quelle der Gerüchte, dem Stasi-Auflöser nämlich, eng zusammenarbeitete.

Werner Münch bestreitet nach wie vor, irgend jemandem einen Auftrag zur Ausforschung seines Stellvertreters gegeben oder auch nur von entsprechenden detektivischen Aktivitäten gewußt zu haben. Dabei hätte man sogar ein gewisses Verständnis für einen solchen – nicht gerade rechtmäßigen – Auftrag haben können. Europaminister Gerd Brunner und Landwirtschaftsminister Otto Mintus hatten wegen ihrer Stasi-Vergangenheit gerade erst ihren Hut genommen, als die Gerüchte über Rauls auftauchten. Wenn Münch doch, wie von Levy behauptet, von den Nachforschungen über Rauls wußte und sie vielleicht sogar doch in Auftrag gegeben hat, hat er nur einen einzigen ihm vorzuwerfenden Fehler gemacht. Als der Spiegel die Spitzeleien im vergangenen August ans Tageslicht brachte, hatte Münch in einer Pressekonferenz noch am Tag der Veröffentlichung jede Mitwisserschaft und erst recht jede Beteiligung bestritten. Es fehlte nur noch das Ehrenwort.