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Die Ökologie umarmt das Gewerbe

■ Bremerhaven: Arbeitsmarkt + Natur retten / BUND-Alternative für Carl-Schurz-Kaserne

Zu den wenigen unumstrittenen Punkten in der Kontroverse zwischen Häfen- und Wirtschaftssenator um die Nutzung der Carl- Schurz-Kaserne in Bremerhaven gehört, daß beide Ressorts die gesamte freiwerdende Fläche verplanen wollen. Mit dem angrenzenden Gebiet Richtung Weddewarden sollen das rund 390 Hektar neue Gewerbefläche werden.

Rund 50 Hektar Naturfläche würden im Bereich Carl-Schurz- Kaserne verlorengehen, nochmal 25 Hektar bei der Erschließung des Weserportsees.

„Hier wäre eine gute Verbindung von Gewerbeflächenplanung mit Naturschutzbelangen möglich“, sagt Martin Rode vom BUND Bremen, „doch das ist bislang nur in völlig unzureichendem Maß passiert.“

Gemeinsam mit dem Naturschutzbund Deutschland hat der BUND nun eine Alternativplanung für das Gebiet erstellt. Nach den Vorstellungen der Naturschutzverbände soll im Nordwesten Bremerhavens ein Gewerbegebiet entstehen, das möglichst viele Arbeitsplätze, eine hohe Wertschöpfung und Diversifizierung schafft — und das alles, während die ökologisch wertvollen Naturflächen vollständig erhalten bleiben.

300 Hektar Gewerbeflächen würden nach diesem Plan übrig bleiben — die beiden großen Flächen Kaserne mitsamt Weserport und Industriepark Speckenbüttel umrahmt dabei jeweils ein grüner Ring. Die Ökologie umarmt das Gewerbe: Bereits bestehende Naturgebiete, laut BUND wertvolle Röhricht- und Baumbestände, die Lebensraum für Rohrsänger, Amphibien und Libellen sind, sollen durch rund 50 Meter breite „Wanderwege im Sinne der Natur“ miteinander vernetzt werden. Die Zufahrt zu den Gewerbeflächen selbst und sämtliche Erschließungsstraßen könnten durch „Aufständerung“ öko werden: Mit Hilfe von Kleinbrücken wird die Straße rund einen Meter höher gelegt, und der seltene Moorfrosch krabbelt unten drunter.

Vorteil: Werden keine weiteren Naturflächen angegriffen, werden auch keine weiteren Ausgleichsflächen notwendig. Bei der vollen Gewerbenutzung läge deren Bedarf bei rund 225 Hektar — dieses Verhältnis von 1:3 für jeden verlorenen Hektar Natur hat die Naturschutzbehörde bei der Erweiterung des Autoumschlagsgebietes in Richtung Weserportsee zugrundegelegt. „Seit dieser Ansiedlung im Jahr 1989 wird verzweifelt nach Ausgleichsfläche gesucht“, sagt Rode. „Wo sollen diese Flächen noch herkommen?“

Die Kasernenfläche ist „die letzte große Chance, Bremerhaven ökonomisch auf die Beine zu bekommen“, sagt Wolfram Elsner, Leiter des Bremer Ausschusses für Wirtschaftsforschung (BAW), der eine Studie zur Zukunft der Carl-Schurz-Kaserne erstellt hat. Der BUND ist mit ihm einer Meinung und fordert deswegen eine möglichst hohe Betriebs- und vor allem Arbeitsplatzzahl pro Flächeneinheit. „Diese Flächen dürfen nicht zu Stellplätzen für Autos und Container degradiert werden“, findet BUNDler Rode — die Lieblingsvorstellung des Häfensenators. Diese Nutzung bedeutete gerade mal 10 Arbeitsplätze pro Hektar — der BUND und auch der BAW fordern mindestens 50.

Das Zauberwort heißt Wertschöpfung, und der Fischereihafen bietet dafür ein positives Beispiel: „Dort hat sich eine breite Nahrungsmittelindustrie angesiedelt, die sich bereits verselbständigt hat“, erklärt BAW-Leiter Elsner. Es funktioniert also auch in Bremerhaven, für Investoren nicht gerade das heißbegehrteste Fleckchen Erde, mehr als nur Transitverkehr.

Und auf der umstrittenen Fläche könnte eben auch mehr passieren als nur Autos parken, entwachsen und umrüsten: im Sektor Autos wäre zum Beispiel eine Autoteileproduktion denkbar, andere hafenorientierte Wertschöpfungsgebiete könnten dort ihren Platz bekommen.

Mindestens 4.000 Arbeitsplätze will der BAW allein auf dem 170-Hektar-Gelände der Kaserne schaffen — damit Bremerhaven in der Regional-Förderungsstatistik vom jetzigen zwölftletzten Platz in der ganzen Republik nicht noch weiter abrutscht.

skai

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