Analytischer Notstand

■ Uraufführung von Carolyn Carlsons „Commedia“ im Hamburger Schauspiel

Die neuen Liebesbeziehungen der Künste im Theater treiben gelegentlich merkwürdige Blüten. Philosophie und Literatur, Religion und Wissenschaft, Gemälde und Hörspiel, Tanz, Krach, Fotos, Erzähler in drei verschiedenen Sprachen und Musik möglichst vieler Stilarten werden ineinandergeschoben, geschichtet und addiert – nur verbunden werden sie fast nie. Wie hier, im Falle von Carolyn Carlsons „Commedia“, treten immer häufiger Künstler mit Allmachtskonzepten an die Öffentlichkeit, die unter der Lizenz „Inspirationen nach...“ (hier nach Dantes „Göttlicher Komödie“), mit dem multimedialen Quast jede Trennschärfe vernichten und Alles mit Allem gleichsetzen.

Carlsons große Äquivalenzschaltung von Dantes Infernalität und Christlichkeit mit der buddhistischen Reinkarnationslehre (an die sie glaubt) zeugt schon im Ansatz von einem analytischen Notstand. Scheint ihr auch das Gemeinsame der Komplexe „Buddhismus“ und „Dante“ bedeutungsvoller als das Trennende zu sein – was an sich schon eine recht diffuse Behauptung ist – so erklärte die Uraufführung ihrer ersten deutschen Produktion im Hamburger Schauspielhaus doch nur, daß beiden der Aufstieg durch verschiedene Ebenen zum körperlosen Lichtzustand gemein ist. Daß die Verschränkung kulturhistorischer Kontinente für zwei Stunden Theater im Regelfall nur zur völligen Substraktion beider führt, war aber das augenscheinlichere Resultat; ballett-typische Todesromantik, langweilige, gebärdenreiche Erhabenheit und unsinnlicher Theaterbombast. Von buddhistischer Askese keine Spur.

Vielmehr führte Carlson ihre neun Tänzer und drei schauspielernden Sprecher durch meist zusammenhangslose, schöne Bilder, wobei die Choreografie mehr von der Komposition des französischen Jazzmusikers Michel Portal beherrscht zu sein schien als von einem erkennbaren Leitgedanken. Dieser hatte eine Kette von Kurzstücken für Computermusik geschrieben, die von Klassik über Tango und Jazzrock bis zu Techno führten und mit kleinen Hörspielen interpunktiert wurden.

Doch damit der Kreuzungen nicht genug. William Blakes Dante-Illustrationen sollten ebenso Teil ihrer Inszenierung werden wie hilflose Zitate von ihrem großen Vorbild Robert Wilson und bühnengreifende Hinterwandprojektionen des Weltalls (Saturnring, Milchstraße, Sonnenfinsternis). Und immer regierte der Kreis: Als stetig tickendes Uhrwerk, als Himmelskörper, goldene Kugel — und als Rückkehr im Schlußbild zu den Motiven des Anfangs.

Keine Sünde des Eklektizismus blieb unbegangen. Dante erschien mal als Jesus, mal als der „edle“ Renaissance-Mensch, mal als Frau, mal als Gruppe; ebenso Vergil, der um die Komponente des Androgynen bereichert wurde. Daß es bei Dante neben vielen anderen unberücksichtigt gebliebenen Aspekten auch zentral um den Sieg der Liebe über den Tod geht, hatte in der leidenschaftslosen Tanz-Maschinerie sowieso keinen Platz. Wo Liebe verhandelt wurde, geschah das in Kitsch und selbstvergessener Lieblichkeit. Geradezu peinlich wurde es, wenn eine italienische Mama und eine Geliebte um den Mann kämpften.

Trotz des einschläfernden Metaphern-Ramsches gelingen Carlson einige ergreifende Szenen, wobei die besten bezeichnenderweise ihre wenigen und kurzen Auftritte sind. Hier findet sie in ihrer eigenen Körpersprache plötzlich die magische Dämonie, die ihrer Inszenierung so völlig abgeht. Letztlich aber beweist Carolyn Carlson mit ihrer multimedialen Haltlosigkeit nur die Bulimie des Gedankens. Till Briegleb

„Commedia“: Regie und Choreographie: Carolyn Carlson; Musik: Michel Portal; Bühne: Mikko Kurennieni

Weitere Vorstellungen: 31. März, 1./3. April