■ Das Portrait
: Wei Jingsheng

Vierzehn Jahre Haft, überwiegend in einer Einzelzelle im Arbeitslager, haben Wei Jingsheng offensichtlich nicht zur „Einsicht“ gebracht. 29jährig war Wei Ende März 1979 als einer der prominentesten Vertreter der Demokratiebewegung des „Pekinger Frühlings“ von 1978/79 verhaftet worden. Er sei sich über seine Schuld „noch nicht im klaren“, erklärten im vergangenen Jahr chinesische Funktionäre. Seine Schuld: er hatte auf Wandzeitungen und in Dissidentenzeitschriften gefordert, daß die „Machthabenden kontrolliert werden“. Wei hatte wie so viele Jugendliche während der Kulturrevolution in den sechziger Jahren frühzeitig die Schule verlassen und wurde Elektriker.

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Foto: ai

Ende der siebziger Jahre, nachdem Mao Zedong im September 1976 gestorben war, begann sich China zu öffnen. Wei arbeitete jetzt im Pekinger Zoo und gab gemeinsam mit anderen die Dissidentenzeitschrift Erkundungen heraus. Doch er ging in seiner Kritik des chinesischen politischen Systems weiter als andere. Die meisten Dissidenten setzten noch auf die Erneuerungsfähigkeit der Partei. Wei griff Chinas starken Mann Deng Xiaoping persönlich an, der es nicht zulassen wolle, „daß das Volk die Macht, die Karrieristen und Cliquen von Karrieristen an sich gerissen haben, zurückerobert“, wie er schrieb. Die Rache Dengs und der Parteispitze kam schnell: als einer der ersten Vertreter der Demokratiebewegung wurde Wei Jingsheng in einem Schauprozeß wegen „Konterrevolution“ zu 15 Jahren Haft verurteilt. Lange Zeit war wenig über das Schicksal Weis bekannt. Die spärlichen Nachrichten, die nach außen drangen, ließen befürchten, daß er im Lager physisch und psychisch schwer erkrankt sei. Doch alle internationalen Appelle, und auch eine Petition chinesischer Intellektueller Anfang 1989 fruchteten nichts.

In diesen Tagen haben die Pekinger Behörden, die sich um eine Aufbesserung ihres Images bemühen – China bewirbt sich um Olympia 2000 — ausländischen Journalisten ein Video zugänglich gemacht, auf dem Wei in anscheinend relativ guter Gesundheit gezeigt wird. Er soll sogar im Herbst 1992 durch Peking geführt worden sein, um die Veränderungen der vergangenen Jahre anzusehen. Er habe hingeguckt, hieß es, aber seine politischen Ansichten nicht geändert. Jutta Lietsch