Die Gemeinden bleiben lieber am Netz der Großen

■ Im nächsten Jahr laufen die meisten Verträge deutscher Kommunen mit den Strom-Großversorgern aus. Aber die erhoffte Energiewende findet nicht statt

Essen (taz) – Ohne Strom läuft nichts, so werben die Energiekonzerne. Und schon gar nichts läuft ohne ihre Verteilungsnetze, die ihnen noch einmal Geld einbringen. Und sie entscheiden, wie Gemeinden und Städte ihre Energieversorgung organisieren. Die Hoheit über die Netzleitungen liegt bei wenigen Verbund- und Regionalunternehmen – denn wie keine andere Branche ist der Stromsektor hochkonzentriert.

Dazu haben auch die bisherigen langfristigen (teils über 50 Jahre dauernden) Konzessionsverträge beigetragen, mit denen die Kommunen die Strombelieferung an die sogenannten Fremdversorger abtreten. Was lag da näher, als mehr Wettbewerb um die Versorgungsgebiete zu fordern?

Genau das hat die Bundesregierung 1980 mit der 4. Kartellrechtsnovelle getan. Demnach ist die Laufzeit von Konzessionsverträgen nun generell auf 20 Jahre begrenzt. Außerdem laufen alle vor Ende 1974 geschlossenen Altverträge automatisch in der Silvesternacht 1994 aus.

Wer nun gehofft hatte, daß sich die Städte und Gemeinden verstärkt um ihre Energieversorgung kümmern, den muß eine jüngst veröffentlichte Studie des Bremer Energie-Instituts enttäuschen: Die kommunale Energiewende, für die sich seit Mitte der 80er Jahre vor allem das Freiburger Öko-Institut und Die Grünen stark gemacht hatten, bleibt aus. Nur 125 Gemeinden planen, ab 1995 die Stromnetze zu übernehmen. Bundesweit, so die Bremer Untersuchung, sind bereits über 70 Prozent der Konzessionsverträge neu abgeschlossen – und das vor dem Stichtag 1. Januar 1995.

Einen ähnlichen Trend hatte bereits das Düsseldorfer Wirtschaftsberatungsunternehmen Wibera 1988 ausgemacht. 232 Städte hatten in der zweiten Hälfte der 80er Jahre erklärt, die Stromversorgung übernehmen zu wollen – immerhin noch knapp 100 Kommunen mehr als nach den Bremer Ergebnissen.

Hartmut Murschall-Zabel vom Bremer Energie-Institut macht für diese negative Entwicklung die Großoffensive der marktbeherrschenden Energieversorgungsunternehmen verantwortlich: „Bevor viele Gemeinden sich überhaupt all der energiepolitischen Möglichkeiten bewußt wurden, die ihnen die 4. Kartellnovelle eröffnete, waren die Versorger schon mit neuen Verträgen da, die in der Regel eine höhere Konzessionsabgabe vorsahen.“ Mit diesem Lockmittel sicherten sich die Stromkonzerne Absatzgebiete weit über die Jahrtausendwende hinaus; die Städte, beklagt Murschall-Zabel, haben oft die Möglichkeiten umweltgerechter Lösungen verschenkt. Der vermehrte Einsatz von dezentralen Blockheizkraftwerken, Windkraft- und Solaranlagen bleibt eine Utopie.

Auch Ulrich Cronauge, Hauptreferent für Energiefragen beim Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen, ist enttäuscht: „Die Gründung neuer Stadtwerke hat es so gut wie nicht gegeben.“ Bei den 125 Übernahmen handelt es sich in der Regel um sogenannte Spartenerweiterungen (Aufnahme eines neuen Versorgungsbereiches) oder Arrondierungen: das Stadtwerk wird auch für eingemeindete Stadtteile zuständig. Cronauge wirft den Kartellbehörden der Länder vor, wichtige Streitpunkte selbst 13 Jahre nach Inkrafttreten der 4. Kartellrechtsänderung nicht gelöst zu haben: „Nach wie vor ist unklar, zu welchem Preis eine Kommune ihr Stromnetz zurückkaufen kann.“ So streiten Städte regelmäßig mit Energieversorgern, ob der Kaufpreis für das Stromnetz nach dem „Sachzeitwert“ (dem aktuellen Wiederbeschaffungspreis) oder dem historischen Buchrestwert bemessen wird. Die Differenz kann zu mehrstelligen Millionenbeträgen auflaufen – Summen, die über die Wirtschaftlichkeit der Stromnetzübernahme entscheiden.

Nach den Bremer Recherchen müssen von den acht Verbundunternehmen einzig die RWE Energie AG (Essen) und die Vereinigten Elektrizitätswerke AG (Dortmund) mit nennenswerten Netzabtretungen ab 1995 leben: So planen 17 Kommunen im RWE-Versorgungsgebiet, die Stromnetze zu übernehmen, in elf weiteren Kommunen kommt es wohl zu den erwähnten Arrondierungen. Die VEW verliert bislang in neun Gemeinden die Netzhoheit. Daß der von der Elektrizitätswirtschaft Mitte der 80er Jahre oft beschworene „Erdrutsch“ ausbleibt, zeigen auch die Zahlen aus Baden-Württemberg: Die Energie-Versorgung Schwaben AG (Stuttgart) hat bereits 1989 mit fast allen der ca. 440 Kommunen im Versorgungsgebiet neue Konzessionsverträge bis zum Jahr 2008 abgeschlossen.

Bei der Badenwerk AG (Karlsruhe) sind bereits rund 85 Prozent der Neuabschlüsse unter Dach und Fach. Zu großen Veränderungen kommt es auch nicht in Niedersachsen: Die Energieversorgung Weser-Ems AG (EWE) wurde bereits Mitte der 80er Jahre mit fast allen Kommunen handelseinig. Mittlerweile bietet die EWE zwölf Jahre vor (!) dem Auslaufen der Kontrakte schon wieder neue Konzessionsverträge an.

„Zu hoffen bleibt“, so Hartmut Murshall-Zabel vom Bremer Energie-Institut, „daß einige, noch unentschlossene Kommunen die Bilanz bis 1995 noch verbessern. Noch ist Zeit genug, um über Alternativen nachzudenken.“ Die nächste Chance, die Abhängigkeit von den Stromkonzernen zu lockern, kommt erst in 20 Jahren – „also in einer halben Ewigkeit“. Ralf Köpke