Entwicklungshilfe hilft den Helfern

■ Auf der Jahrestagung der Interamerikanischen Entwicklungsbank fordern Lateinamerikas Regierungen Handel statt Hilfe/ Aus der Bank floß mehr Geld nach Deutschland, als die Bundesrepublik eingezahlt hat

Berlin/Hamburg (taz/dpa) – „Handel statt Hilfe“ fordern Lateinamerikas Regierungen von der EG. Zur Eröffnung der 34. Jahrestagung der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB) in Hamburg hat gestern auch Bundespräsident Richard von Weizsäcker ein Plädoyer für Freihandel gehalten und sich gegen die neuen Zollschranken ausgesprochen, welche die EG zum Schutz ihrer Industrie an den Außengrenzen des Binnenmarkts errichtet hat.

Auf Hilfszahlungen können die Lateinamerikaner inzwischen durchaus verzichten – nicht nur, weil sich die meisten Länder auf dem Weg der wirtschaftlichen Besserung befinden, sondern auch, weil die bisher geleistete Hilfe – frei nach dem Motto „Geben ist seliger denn Nehmen“ – vor allem Firmen in den Industrieländern zugute kam. So zahlte die Bundesrepublik Deutschland seit ihrem Beitritt im Jahr 1976 601,5 Millionen US-Dollar ein und hält damit knapp ein Prozent des ordentlichen IDB-Bankkapitals. Zusätzlich steckte die Bundesrepublik 180,9 Millionen Dollar in einen Sonderfonds, aus dem Darlehen zu Vorzugsbedingungen vergeben werden. Durch die deutsche Mitgliedschaft wurde automatisch deutschen Firmen der Zugang zu IDB-finanzierten Projekten ermöglicht. Seit 1976 gingen Aufträge über 1,2 Milliarden Dollar an deutsche Unternehmen.

Allein im vergangenen Jahr bestellte Lateinamerika über die IDB Waren für 133 Millionen Dollar in Deutschland. Das waren vier Prozent der Gesamtzahlungen der Bank. 1992 hatte die Bundesrepublik 300.000 Mark als Gegenleitung für einen „Deutschen Fonds für technische Zusammenarbeit“ bereitgestellt. Zum Größenordnungsvergleich: Beim Skandal um Theo Waigels Finanzministerium geht es um 300 Millionen Mark Exportförderung, die unzulässigerweise an den bayerischen Großmetzger Moksel überwiesen wurden. Erklärtes Ziel der IDB-Mitgliedschaft von Deutschland und 17 weiteren Industrieländern ist die Entwicklung der 26 regulären IDB-Mitgliedsländer in Lateinamerika und der Karibik. Zum neuen Vorsitzenden des Gouverneursrates, dem höchsten Gremium der Bank, wählte die Versammlung den parlamentarischen Staatssekretär im Entwicklungshilfeministerium, Hans-Peter Repnik. Er versprach, sich in seiner einjährigen Amtszeit besonders für eine Kapitalaufstockung der IDB einzusetzen. Bei der 34. Jahrestagung des Instituts kommen 2.500 Finanzexperten und Politiker aus 50 Ländern zusammen.

Wirtschaftlich befindet sich Lateinamerika seit 1991, als die Reformprogramme zu greifen begannen, in einem leichten Aufschwung. Das Bruttoinlandsprodukt ist 1992 in der Region um 2,6 (1991: 3,2) Prozent gewachsen. Allerdings verstecken sich in dieser Zahl deutliche Unterschiede zwischen einzelnen Ländern: So wuchs Chiles Wirtschaft um zehn Prozent, während das wichtigste Land der Region, Brasilien, in der Rezession verharrte.

Immerhin: Die Reformen – Marktöffnung und Deregulierung – schafften in den Industrieländern Vertrauen in die Region, so daß die ausländischen Direktinvestitionen auf 16 Milliarden US-Dollar stiegen. Die Inflationsrate lag bei fast allen Ländern unter 30 Prozent. Der Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) sprach deshalb gestern von einer kommenden „Dekade der Hoffnung“ für Lateinamerika.

Die IDB selbst sieht heute ihre Hauptaufgabe in der Armutsbekämpfung. Bis zu 50 Prozent ihrer Mittel will sie künftig in Schul- und Ausbildung stecken sowie über einen „sozialen Investitionsfonds“ die Auswirkungen der wirtschaftlichen Schocktherapien auf die Armen mildern. Der Präsident der IDB, Enrique Iglesias, erinnerte daran, daß die Hälfte der 450 Millionen LateinamerikanerInnen in Armut leben.

Die IDB ist die größte und älteste Entwicklungsbank für die Länder Lateinamerikas und der Karibik. Sie wurde 1959 gegründet, um die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in dieser Region zu unterstützen. Dafür zahlte sie im vergangenen Jahr sechs Milliarden US-Dollar als Kredite an 90 wirtschaftliche und soziale Projekte. Damit ist sie in Lateinamerika bedeutender als die Weltbank. dri