Lettische SS-Veteranen erhalten Rente

■ Ehemalige Mitglieder der Waffen-SS erhalten Kriegsversehrtenrente/ Antragsteller werden nicht auf ihre Beteiligung an Kriegsverbrechen überprüft/ Zentralstelle für NS-Verbrechen protestiert

Berlin (taz) – Ehemalige lettische Legionäre der Waffen-SS, die im Dienst von 1943 bis 1945 verletzt wurden, erhalten eine Kriegsversehrtenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz. Nach einem Bericht des ARD-Magazins Panorama hat das zuständige Versorgungsamt Ravensburg bereits 138 solcher Renten bewilligt. Die Zahlungen, für die der Bund aufkommt, liegen meist zwischen 100 und 300 Mark. 421 weitere Anträge von ehemaligen SS-Angehörigen müssen noch entschieden werden. Nach Angaben des Fürsorgevereins „Leben in Lettland“ gibt es dort noch 12.000 potentielle Antragsteller.

Bei der Bewilligung der Kriegsversehrtenrente spielt es keine Rolle, ob der Antragsteller an Kriegsverbrechen beteiligt war. Dabei ist erwiesen, daß ehemalige Mitglieder von Schutzmannschaften der SS zwischen 1941 und 1943 vor ihrem Eintritt in die Waffen-SS an zahlreichen Massenerschießungen beteiligt waren. Nach Schätzungen von Experten sind dabei 75.000 der 85.000 lettischen Juden ermordet worden. „Es ist nicht unsere Aufgabe, danach zu fragen, was die Antragsteller vor ihrem Eintritt in die Waffen-SS getan haben. Wir sind keine Strafverfolgungsbehörde“, sagte Hans-Peter Gianmoena, Leiter des Versorgungsamtes Ravensburg, gegenüber der taz. Er schließt nicht aus, daß SS-Veteranen an Kriegsverbrechen beteiligt waren („Es kann mal der ein oder andere dabei sein.“) Seiner Auffassung nach haben aber „Nachweise über Kriegsverbrechen auf die anerkannten Fälle oder auf noch zu entscheidende Fälle keinen Einfluß.“ Lediglich diejenigen SS-Angehörigen, die zur Bewachung von KZs eingesetzt waren, erhalten einen ablehnenden Bescheid.

Diese Praxis entspricht einem Urteil des Bundessozialgerichts von 1959, wonach auch Angehörige der Waffen-SS Anspruch auf Leistungen aus dem Bundesversorgungsgesetz haben. Ausgeschlossen sind nur SS-Einheiten, die KZs bewachten, da es sich hier – so die Logik des Gesetzestextes – nicht um militärischen Dienst gehandelt habe.

Die Zentralstelle für die Verfolgung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg hält die Rentenvergabe ohne Überprüfung der Antragsteller auf NS- und Kriegsverbrecher für falsch. Der stellvertretende Leiter und Staatsanwalt Willi Dreßen hat das Versorgungsamt gebeten, ihm eine Liste der SS-Angehörigen unter den Antragstellern zuzusenden. Gianmoena wollte die Liste aus datenschutzrechtlichen Gründen jedoch nicht herausgeben. Dies könne er nur auf richterliche Anweisung tun. Auch Dreßens Anliegen, seine Behörde künftig vor der Rentenbewilligung zu konsultieren, lehnte das Versorgungsamt ab. Wenn NS-Verbrechen bei der Rentenvergabe eine Rolle spielen sollen, müsse der Gesetzgeber zuvor das Bundesversorgungsgesetz ändern. Dreßen erwägt nun, beim Bundesgerichtshof eine richterliche Anordnung zu beantragen.

Aus dem Bundesarbeitsministerium hieß es gestern, die Bewilligung der Kriegsversehrtenrente entspreche der Rechtslage. Maßgeblich sei im Bundesversorgungsgesetz, ob die Gesundheitsschädigung durch eine Kriegseinwirkung erfolgt sei. Zur Frage, ob jemand seinen Anspruch wegen Kriegsverbrechen verwirken könne, gebe das Gesetz nichts her.

124 Überlebende der Judenpogrome leben heute noch in Lettland. Sie haben von der Bundesregierung bisher weder eine Wiedergutmachung noch eine Entschädigung erhalten. Als Bewohner einer ehemaligen Sowjetrepublik haben sie nach dem Bundesentschädigungsgesetz darauf keinerlei Anspruch. Dorothee Winden