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Bremer Hilfe: Räumungsklage gegen cleane Ex-Junkies

■ Drogenberatungsstelle soll in Haus einziehen, wo Clean-WG wohnt

Es war am Montag Abend eigentlich beschlossene Sache: Der Beirat Neustadt wollte die Einrichtung einer Drogenberatungsstelle in der Großen Johannisstraße 52-54 für ein Jahr genehmigen und sich in dieser Zeit nach einer „geeigneteren Andresse“ (Beiratssprecher Detlev Albers) umsehen. Da traten drei Männer aus dem Plenum der Beiratssitzung: Sie seien Mitglieder einer Wohngemeinschaft für ehemalige Abhängige, wohnhaft: Johannisstraße 52-54. Direkt über der geplanten Drogenberatungsstelle. Die Bremer Hilfe zur Selbsthilfe habe ihnen die Mietverträge gekündigt, drohe mit Räumungsklagen. Dagegen wehre man sich derzeit, die Bremer Hilfe setze die Drobs jetzt als Druckmittel ein: „Wir sollen mit aktiven Junkies konfrontiert werden, damit wir das Haus verlassen.“

Verschiedenen Beiratsmitgliedern fiel vor Schreck das Kinn auf die Brust. „Ich bin nicht in der Lage, unter solchen Voraussetzungen eine Entscheidung zu fällen“, erklärte SPD-Beiratsmitglied Renate Möbius, der Grüne Derya Mutlu zuckte hilflos mit den Schultern, und Ortsamtsleiter Klaus-Peter Fischer sprach von einer „völlig neuen Situation. Das haben wir bislang nicht gewußt.“

Hintergrund für die Querelen um das Haus: Die Bremer Hilfe zur Selbsthilfe will in den Räumen, die noch von der Clean-WG bewohnt werden, Betreutes Wohnen für substituierte drogenabhängige Prostituierte einrichten. Die WG- Mitglieder, derzeit noch fünf, argwöhnen: „Die Bremer Hilfe will uns rausschmeißen, weil sie für die Betreuung substituierter Frauen mehr Geld bekommt als für die Betreuung von ehemaligen Abhängigen.“ Durch die Konfrontation mit aktiven Abhängigen werde ihr persönlicher Therapieerfolg gefährdet; sie selbst hätten kaum Möglichkeiten, neue Wohnungen zu finden. „Wir haben auf dem freien Wohnungsmarkt keine Chance. Wir haben schlechte Schufa-Auskünfte, teilweise Vorstrafen — wie sollen wir eine neue Wohnung finden?“

Allen WGlern ist zum 28. Februar 1993 gekündigt worden. Der Verein Bremer Hilfe bestätigte, daß er vor dem Amtsgericht Bremen Räumungstitel gegen alle Mitglieder der WG erwirken will. „Einige wohnen dort schon seit drei Jahren“, erklärt der Geschäftsführer der Bremer Hilfe, Klaus Dyck, die Maßnahme des Vereins: „Wir haben die Betreuung eingestellt; die Leute dort, das hat auch ein Gutachten der Drobs bestätigt, haben keinen Bedarf mehr an Betreuung.“ Dyck wirft einzelnen WG-Mitgliedern außerdem „eklatante Regelverstöße gegen Mitarbeiter des Vereins“ vor. Drogenarbeiter seien massiv bedroht worden. „Das können wir als Verein auf keinen Fall zulassen.“ Der Vorwurf, die Bremer Hilfe wolle durch die Betreuung von drogenabhängigen substituierten Frauen mehr Pflegegelder einsacken, sei haltlos: Für eine Clean- Betreuung erhalte der Verein einen Pflegesatz von 58 Mark, „für eine substituierte Abhängige ist es nicht viel mehr.“

Dyck ist sich des Therapierisikos bewußt. „Ausschließen kann ich die Risiken nicht, aber das sind nicht Probleme des Vereins.“ Den WGlern sei alternativer Wohnraum angeboten worden; die Plätze für Betreutes Wohnen wären nicht aufgelöst, sondern in einem neuen Haus in Horn-Lehe untergebracht. „Wir können da aber nicht Leute einziehen lassen, die schon drei Jahre betreut werden“, sagt Dyck. Betreutes Wohnen ist auf ein Jahr konzipiert.

Die WGler streiten ab, daß ihnen Wohnraum angeboten worden sei, auch der Vorwurf der Bedrohung gegen einzelne Mitarbeiter sei falsch. Die Situation ist ziemlich zerfahren. Die Bremer Hilfe und die Clean-WG verkehren derzeit nur noch über Rechtsanwälte. Der Beirat will jetzt versuchen, alle Beteiligten noch einmal an einen Tisch zu setzen und nach Lösungen zu suchen. Die Sitzung des Sozialausschusses ist für Ende April geplant.

Der Beirat Neustadt entschied am Montag abend dann aber doch noch nach Plan: Die Drobs kann für ein Jahr in die Große Johannisstraße einziehen. Die Arbeit dort kann sofort aufgenommen werden. Markus Daschner

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