■ Klägliches Versagen der journalistischen Selbstkontrolle: Ein Stück weit in der Wanne
Bonn (taz) – „Widerwärtig“, verlautet aus dem SPD-Parteivorstand. „Ein derartiges klägliches Versagen der journalistischen Selbstkontrolle“, faxt der empörte Freidemokrat Bernd Buchholz aus Kiel an die Presse, ist „ein Fall für den Presserat“. „Bei sorgfältiger Beachtung der grundgesetzlich geschützten Meinungs- und Kunstfreiheit“, so schließlich der Entschließungsantrag von CDU, SPD, FDP und SSW, „stellt der Schleswig-Holsteinische Landtag fest, daß das Titelbild der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift Titanic die Menschenwürde des Ministerpräsidenten Engholm und seiner Familie sowie des ehemaligen Ministerpräsidenten Dr. Barschel und seiner Hinterbliebenen in unverantwortlicher Weise verletzt.“ Was ist passiert? Der neue Titanic-Titel zeigt einen lächelnden Björn Engholm in der Badewanne. Unterschrift: „Sehr komisch, Herr Engholm!“ Der Kieler Kniff, aus der Abbildung eine Anspielung auf Uwe Barschel herauszulesen, ist freilich ein billiges Manöver. Schließlich hat das eine mit dem anderen nichts gemein: Engholm – das Foto zeigt es deutlich – liegt eben nur ein Stück weit in der Wanne. Der Skandal ist ein ganz anderer: In Bayern ist die Amigo- Affäre der CSU noch nicht ausgestanden, da setzt Kiels Ministerpräsident noch einen drauf. Oder soll es etwa Zufall sein, daß kurz vor Bekanntwerden des Fotos, dessen Vertrieb Engholm jetzt gar per Verpflichtungserklärung unterbinden lassen will, die internationale Messe „Sanitär Heizung Klima“ in Frankfurt ihre Pforten öffnete? Nur Einfältige werden den Zusammenhang verkennen. Für welchen Sanitärhersteller lächelte Engholm aus der Wanne? Wer profitiert von dem Quietsche- Entchen, das werbewirksam auf dem Wannenrand posiert? Hat Engholm Geld erhalten, und wenn ja, hat er es versteuert? In welchem Angestelltenverhältnis steht die Reinigungskraft, die für die Wannenpflege verantwortlich zeichnet? Engholm ist wahrlich nicht zu beneiden: Die Sensibilität der öffentlichen Meinung für etwaige Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft war nie stärker. Der Sozialdemokrat wird auf den Werbeslogan eines ihm gewiß bekannten Herstellers von Wannenliftern vertrauen müssen: „Sicher in die Badewanne – und sicher wieder heraus“. Bernd Neubacher
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen