Organisiert Jelzin eigenes Referendum?

Volksdeputiertenkongreß beschließt Referendumsbedingungen, die für Jelzin unakzeptabel sein dürften/ Journalisten protestieren gegen Usurpationsversuch der Legislative  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Als krönenden Abschluß seiner neunten außerordentlichen Sitzungsperiode demonstrierte Rußlands Volksdeputiertenkongreß am Montag noch einmal, wen er für den eigentlichen Herrn im Lande hält. Die Abgeordneten bewilligten zwar das von Jelzin gewünschte Referendum, veränderten aber Fragen und Konditionen derart, daß Jelzins Pressesprecher postwendend andeutete, womöglich werde es zwei parallele Plebiszite geben: Jede Gewalt werde das ihrige durchführen.

Neben der Frage, ob die Bevölkerung die Sozial- und Wirtschaftspolitik billigt, stoßen vor allem die neuen Regeln auf Ablehnung der Jelzin-Anhänger. Die Volksvertreter hängten die Meßlatte für einen Erfolg des Präsidenten ziemlich hoch: Dieser kann nur dann die Abstimmung als einen Erfolg verbuchen, wenn über 50 Prozent aller Wahlberechtigten ihm das Vertrauen aussprechen.

Vizepremier Schachrai zweifelte dann auch die Rechtmäßigkeit der Entscheidung an. Nach dem gültigen Gesetz erfordern nur Verfassungsänderungen die Zustimmung der Hälfte aller Wahlberechtigten. Doch die Frage zur neuen Verfassung hatten die Volksvertreter ja gerade — mit Blick auf die darin vorgesehene Einführung eines Zweikammernparlaments — eliminiert.

Das Verfassungsgericht, das sich im Moskauer Machtkampf nicht gerade als parteiloser Schiedsrichter dargestellt hatte, soll nun prüfen, ob die Durchführung des Amtsenthebungsverfahrens gegen Jelzin am vergangenen Sonntag überhaupt verfassungskonform war. Die Juristen des Präsidialapparates warfen dem Gesetzgeber Verstöße gegen fünf Artikel vor. Eigentlich, und das wiegt wohl am schwersten, hätte vor dem Impeachment noch das Gericht selbst angerufen werden müssen.

Landesweit protestieren Journalisten gegen die Entscheidung des Volksdeputiertenkongresses, alle staatlichen Massenmedien der Kontrolle des Parlamentes zu unterstellen und eine eigene Medien- Kontrollkommission einzurichten. Denn natürlich ist den Mitarbeitern der unabhängigen Medien klar, daß dieser Kommission Politiker der einschlägigen Couleur angehören werden. In einigen Provinzstädten hatten allzu engagierte Gegner Jelzins den sonntäglichen Parlamentsbeschluß handlungsanweisend interpretiert und besetzten noch am selben Tag regionale Studios, um ihre Version der Dinge zu verbreiten. Der Intendant des ersten Gus-weiten Kanals, Wjatscheslaw Bragin, kommentierte: „Das Dokument ist gesetzwidrig und wird im Verfassungsgericht einer Prüfung unterzogen. Die Journalisten werden weiterhin ihre Meinung ganz und frei ausdrücken.“ Die Reaktion der meisten Journalisten war einhellig und eindeutig. Sie sehen darin einen Versuch der Reaktion, die staatlichen Medien zu usurpieren. Sergej Tortschinskij vom Russischen Fernsehen regte einen Fernsehrat an, der sich nicht aus Politikern, sondern einflußreichen Leuten des öffentlichen Lebens, Künstlern, Schriftstellern und Wissenschaftlern zusammensetzen soll. Aber genau das hat der Gesetzgeber nicht beabsichtigt. Es wird alles nicht so heiß gegessen, besonders wenn es aus der Parlamentskantine kommt. Keiner weiß, wie das Parlament eigentlich eine direkte Kontrolle ausüben will.