Edouard Balladur ist neuer Regierungschef in Paris

■ Mitterrand beharrt auf der Fortführung der europäischen Einigung/ Keine Rivalität um Präsidentenamt/ Regierung vor enormen Problemen

Paris (taz) – Frankreichs Staatspräsident François Mitterrand hat am Montag abend die Konsequenzen aus dem überwältigenden Wahlsieg der bürgerlichen Parteien bei den Parlamentswahlen gezogen. In einer kurzen Ansprache, die von Hörfunk und Fernsehen übertragen wurde, ernannte er den RPR-Politiker Edouard Balladur zum Premierminister (siehe Porträt Seite 11). Damit entsprach er dem Wunsch der nunmehr stärksten Partei, der neogaullistischen RPR unter Jacques Chirac.

Die Amtsübergabe zwischen dem Sozialisten Pierre Bérégovoy und Balladur fand gestern nachmittag statt. Der neue Regierungschef wollte seine Kabinettsliste spätestens heute unter Dach und Fach haben; dann könnte die erste Ministerratssitzung bereits am Donnerstag stattfinden. Für das Amt des Außenministers war gestern der bisherige RPR-Generalsekretär Alain Juppé im Gespräch. Am Freitag tritt die neugewählte Nationalversammlung zu ihrer ersten Sitzung zusammen.

Obwohl die Ohrfeige der WählerInnen nicht nur den sozialistischen KandidatInnen galt, sondern auch dem Präsidenten, wirkte Mitterrand äußerst gelassen und entschieden. In seiner Ansprache vermerkte er, daß die WählerInnen den Wunsch nach einer anderen Politik klargemacht hätten; dem werde er Rechnung tragen. Er selbst werde sich den Aufgaben widmen, die ihm die Verfassung übertragen hat, nämlich über die Kontinuität in der Außen- und der Verteidigungspolitik zu wachen. Laut Verfassung verhandelt und ratifiziert der Staatschef die internationalen Verträge. Außerdem ist er Chef der Streitkräfte. Die RPR hatte ihm diese Kompetenzen im Wahlkampf streitig gemacht.

Mitterrand betonte, daß die europäische Einigung für Frankreich weiterhin Vorrang habe, daß der Maastricht-Vertrag möglichst schnell umgesetzt und das europäische Währungssystem bewahrt werden müsse. Damit signalisierte er den zahlreichen Maastricht- Gegnern innerhalb der RPR ihre Grenzen.

Mit dem neuen gaullistischen Regierungschef wird es auf diesem Feld keine Reibereien geben, denn Balladur ist selbst ein überzeugter Anhänger des Einigungsvertrags und eines an die Mark gekoppelten starken Francs. In seiner Partei gibt es hingegen einen starken Flügel unter Führung von Charles Pasqua und Philippe Seguin, die auch eine Abwertung des Franc verlangen.

Die Zusammenarbeit zwischen dem sozialistischen Präsidenten und dem konservativen Regierungschef dürfte relativ reibungslos anlaufen, weil zwischen ihnen keine Rivalität herrscht. Der wichtigste Unterschied zur ersten cohabitation vor sieben Jahren ist, daß diesmal keiner der beiden Protagonisten eine Kandidatur zu den Präsidentschaftswahlen von 1995 vorbereitet.

Zudem gibt sich die Rechte – anders als 1986 – derzeit betont gemäßigt und tolerant. Grund dafür sind die enormen Probleme, die sie in der kurzen Legislaturperiode von nur zwei Jahren angehen muß. So dürfte die symbolische Schwelle von drei Millionen Arbeitslosen jetzt überschritten sein, dazu kommen zwei Millionen verdeckte Arbeitslose.

Das Haushaltsdefizit hat Rekordhöhe erreicht, und das Loch in der Sozialversicherung wächst ebenfalls rapide. Der Handlungsspielraum der neuen Regierung ist daher minimal.

Die Sozialistische Partei plant unterdessen einen vorgezogenen Parteitag, auf dem sie die Gründe für ihr bodenloses Scheitern diskutieren und die Erneuerung der Partei einleiten will. Ex-Umweltministerin Segolene Royal hatte nach der Wahl verlangt, die Parteispitze solle den enttäuschten Linken sofort signalisieren, daß sie die Botschaft verstanden habe: Sie solle umgehend und kollektiv zurücktreten. Doch die Parteichefs – auch Elefanten genannt – ließen diesen Vorschlag ungerührt abblitzen. Bettina Kaps