Cebit '93: Wirklich alles neu?

Heute endet die weltgrößte Computerschau des Jahres in Hannover/ Optimismus bei Ausstellern, Arbeitsplatzängste bei Beschäftigten  ■ Aus Hannover Donata Riedel

Was könnte beruhigender wirken als ein Aquarium mit bunten Fischen? Langsam und gleichsam ziellos treiben die tropischen Tierchen über den Bildschirm – Schonprogramm für den Monitor. Immer, wenn länger als zwei Minuten am Computer keine Taste gedrückt wird, schaltet sich das ruhige Fließprogramm ein, damit sich die immergleichen Arbeitsmasken und Menüleisten nicht in den Bildschirm einbrennen. Längeres Leben für den Monitor, Meditationsgelegenheit für Computerarbeitsplatzbesitzer in der Denkpause.

Heute, am letzten Tag der Computermesse Cebit, empfinden die Repräsentanten der Branche, die voll Furcht vor dem Absatzeinbruch nach Hannover gereist waren, ihre Lage wieder als gut. Entgegen ihren Befürchtungen starrte das Standpersonal von 5.604 Firmen aus 45 Ländern nicht nur auf die digitalen Aquarien der Ausstellungsstücke, sondern auch auf breite Besucherströme. Vielleicht werden es heute abend sogar ein paar mehr gewesen sein, als die Rekordzahl der letztjährigen Cebit: 650.000.

Nach dem Wochenende errechnete Hubert Lange aus dem Vorstand der Messegesellschaft bereits einen Besucherzuwachs von 2,5 Prozent – für ihn ein Zeichen, „daß die Konjunkturampeln auf Grün gestellt werden“.

Der Berufsoptimismus des Messemanagers mag möglicherweise in den Chefetagen der EDV-Branche die Hoffnung auslösen, daß der anschwellende Besucherstrom in naher Zukunft ins Umsatzplus münden wird. Von den Beschäftigten dieses Industriezweiges dürfte sie derzeit kaum geteilt werden. IBM (5 Milliarden Dollar Rekordverlust) wird 1993 weltweit 40.000 Beschäftigte entlassen, bei der deutschen Tochter des US-Konzerns Digital Equipment (2,4 Mrd. Dollar Verlust) wurde (und wird auch heute in Berlin, Köln und Essen) während der Cebit warngestreikt. Denn weltweit will Digital Equipment 15 Prozent aller Stellen abbauen.

In der Bundesrepublik erhalten zunächst 300 bis 350 der 3.700 Dital-Equipment-Beschäftigten die Kündigung. 800 weitere, der komplette Kundendienst, sollen ausgelagert werden. Die IG Metall will nun durchsetzen, daß die Betriebsvereinbarungen zum Kündigungs- und Rationalisierungsschutz auch für die ausgelagerten Betriebsteile gelten sollen, wie der Berliner Betriebsrat Christian Brunkhorst gestern sagte.

Mit dem Blick fest auf die Besucherzahlen kann Messevorstand Lange auch geflissentlich ignorieren, daß namhafte Hersteller inzwischen glauben, daß sie für ihre Geschäfte das weltgrößte Computerspektakel nicht mehr brauchen. So blieb bei den Netzbetriebssystemen ausgerechnet Marktführer Novell der Cebit fern.

Motorola Computersysteme und das Softwarehaus Borland gaben ebenfalls an, demnächst lieber auf Fachmessen ausstellen zu wollen: die Massen in Hannover, so das Signal, machen's eben nicht; vor allem dann nicht, wenn während der Konjunkturflaute gerechnet werden muß.

In die Röhre schaute erstmals seit Jahren ein Teil des Hannoveraner Hotelgewerbes. Nie hätte man geglaubt, daß es während der Cebit oder der Industrie Messe Hannover noch freie Zimmer im Interconti geben könnte. Doch genau das ist jetzt geschehen.

Mit ein wenig Skepsis gegenüber der eigenen Besucherstatistik könnte Lange durchaus auch den Mengenzuwachs auf seinem Messegelände kritischer sehen: der inländische Besucherzuwachs rekrutierte sich überwiegend aus Nordrhein-Westfalen und den ostdeutschen Bundesländern – den Gegenden, aus denen man schnell per Intercity oder Auto am Sonntag den Familienausflug nach Hannover machen kann. Aus den wichtigsten Handelspartnerländern der Bundesrepublik, der EG und der Efta, ist die Zahl der Messegäste rückläufig gewesen.

Die Auswertung der Besucherbefragung läßt ebenfalls Rückschlüsse auf den Strukturwandel zu, indem sich die Branche befindet. Büroautomation und universelle Datenverarbeitung, sozusagen die Altindustrie-Anteile der High-Tech-Branche, verzeichnen „rückläufiges Interesse“, während sich 47 Prozent der Besucher bei Anwendungssoftware/Komplettlösungen tummelten; gefolgt von den Sparten Mikro- und Personalcomputer mit 46 Prozent, Netzwerke mit 39 Prozent und Telekommunikation mit 38 Prozent.

Verkauft worden, zumindest an die Medien, ist auf der diesjährigen Cebit-Messe – immerhin – eine technische Vision: die Verschmelzung von Telekommunikationstechnik mit dem PC. Konkret: das mobile Telefon, über das man vom Laptop-Penbook selbst hochkomplexe Grafiken, versehen mit handschriftlichen Notizen, an jedes beliebige Faxgerät der Welt versenden und von dort korrigiert zurückbekommen kann. Selbstverständlich ist auch der Anrufbeantworter in das „integrierte Telekommunikationsgerät“ miteingebaut.

Jedoch: Wer von dieser Form mobiler Techno-Kommunikation träumt und vor dem Schonprogramm eines Cebit-Ausstellungsstücks einmal Denkpause macht, wird wohl kaum in diesem Jahr ordern, sondern lieber bis zu den nächsten Neuheiten im kommenden Jahr warten.

Vor allem die vielgepriesenen Penbooks, auf denen man dereinst handschriftliche Notizen digital verewigen können soll, haben heute noch große Schwierigkeiten bei Druckbuchstaben und eignen sich in der Praxis eigentlich nur zum Ankreuzen auf standardisierten Formularen.

„Wer hat schon einen IQ von 9.000?“ fragt die Firma Sharp, the ideas company, auf ihrer Standbanderole. Darüber ließe sich trefflich nachdenken, während bunte Fische über den Bildschirm schwimmen – und abwarten bis zur nächsten Entwicklungsstufe.