Schatten und Verwesung

■ Silbern: Ein Film des Hamburger Caspar Stracke über Georg und Margarete Trakl

: Ein Film des Hamburgers Caspar

Stracke über Georg und Margarete Trakl

„...spürt des Wahnsinns sanften Flügel, Schatten drehen sich am Hügel, von Verwesung schwarz umsäumt.“ Diese drei Zeilen des expressionistischen Dichters Georg Trakl skizzieren die Kernpunkte seines Fühlens und Schaffens: Der Wahnsinn, die Schatten und die Verwesung stehen als Synonyme für seine zerborstene und gleichzeitig leidenschaftlich erlebte Welt. Diese Welt filmisch nicht nur in den Griff zu bekommen, sondern auch noch erotisch-morbide und fast ohne Kino-Klischees gekonnt und packend darzustellen, ist Caspar Stracke mit seinem 19-minütigen schwarz-weiß- Film Silbern gelungen.

Atmosphärisch dicht und regelrecht obszön zeichnet der Film des 26jährigen Hamburger Regisseurs ein Bild des deutschen Dichters, dem in den meisten literaturhistorischen Veröffentlichungen zwar eine „enge Bindung“ zu seiner Schwester nachgesagt wird, die aber immer tabuisiert blieb. Stracke — „ich habe leider kein inzestuöses Verhältnis mit meiner Stiefschwester ausprobiert“ — hat sich von dieser Inzest-Thematik fesseln lassen. Der Film beschreibt die masochistisch-blutigen Tendenzen zwischen Georg Trakl und seiner Schwester Margarete, die auch auf die Bluts-Verbundenheit und -Verwandschaft der beiden hinweisen.

Historische Tatsachen wollte Stracke mit seinem Film nicht dokumentieren. Verbrieft ist schließlich nur wenig von dem Privatleben des 1887 in Salzburg geborenen Apothekers und Dichters. Weder sind von ihm homosexuelle Episoden bekannt, schon gar nicht solche mit dem Maler Oskar Kokoschka, wie der Film sie suggeriert, noch weiß Stracke nähere Details über den Freitod des Kokainisten Trakl im Jahr 1914 in Krakau. Auch als reißerisches Porträt will der Regisseur den Film nicht verstanden wissen, er habe „keinen Inzestschocker“ filmen wollen.

Caspar Stracke ließ sich mehr von den Gedichten Trakls als von historisch belegten Fakten inspirieren. Es scheint, als habe der Regisseur die Lebenswelt Trakls intuitiv erfaßt und in das Medium Film

1übertragen. Analysiert man die Bilder zu genau, liegen falsche Schlüsse nahe. So zitiert der Film zum Beispiel eine Fotografie von Man Ray, aber Stracke sagt, er kenne dieses Foto überhaupt nicht. Andere Szenen scheinen aus der Filmhistorie gegriffen, wie zum Beispiel eine Szene an den Mord hinterm Duschvorhang in Hitchcocks „Psycho“ erinnert. Stracke schließt solche Assoziationen aus.

Collagenhaft und mit Tricks wie Wechseln der Laufgeschwindigkeit

1(kein billiger Zeitraffer), mit Überblendungen, kreisend-suchender Kamera und Weitwinkeleffekten, arbeitet der „Experimentalfilm“ (Stracke) mit tiefer Symbolik und gibt expressiv, zuweilen auch schon surrealistisch übersteigert das Lebensgefühl zweier Menschen wieder, die in ihren Obsessionen zusammengeschweißt waren.

Silbern entmystifiziert Georg Trakl nicht, doch er baut ihm und seinen Gedichten ein Denkmal. Der Film endet expressionistisch:

1„Sterbeklänge von Metall, und ein weißes Tier bricht nieder“, schrieb Trakl, der sich schließlich mit seiner Schwester zusammen umbringt.

Zur Premiere von Silbern im Westwerk laufen noch drei andere Arbeiten von Caspar Stracke: Sad Sack (1992), Chad, der 1991 aus einer Musikcollage von Eugene Chadbourne entstand und eine Filmschleifeninstallation. Greta Eck

Westwerk, Admiralitätsstraße 74, Freitag, 2.4., 20 Uhr