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■ Vještice aus Zagreb in der UFA-Fabrik

Heute abend zwischen acht und neun wird ein Geheimtip der ganz besonderen Sorte die Bühne der UFA-Fabrik betreten: Vještice, zu deutsch „Die Hexen“, musikalisch zwischen Ethno- Pop, Jazz und Folk angesiedelt, ansonsten nicht mehr beheimatet in Zagreb.

Es ist paradox: Die Band aus der kroatischen Hauptstadt Zagreb hätte wohl nie ein Berliner Ohr zu hören gekriegt, wäre nicht der Krieg im ehemaligen Jugoslawien ausgebrochen. Dort wurde die Band von Boris Leiner (Drums), Srdjan Saher (Baß) und Maks Juričić bis zum Beginn der Kampfhandlungen als Superstar-Gruppe gehandelt. Ihre üblichen Gagen wollte in Deutschland einfach niemand zahlen.

Vještice wurden 1988 gegründet. Alle drei Musiker zählten zu Hause sowohl am Instrument als auch als Produzenten zur Spitzenklasse. Der Schlagzeuger Boris Leiner spielte sich bei der kroatischen Kultband „Azra“ durch die Achtziger, Srdjan Saher bediente lange Jahre den Baß bei „Haustor“, der wohl besten Reggae-Band des ehemaligen Jugoslawiens, und Gitarrist Maks Juričić schlug seine zwölf Seiten seit Ausbruch des New Wave 1980 bei „Film“ und „Le Cinema“, Namen, die im früheren Jugoslawien hoch gehandelt wurden. Um ihre Zukunft hätten sich die drei Herren ohne den Krieg jedenfalls keine Sorgen machen müssen. Ihre erste Platte „Totalno Drugči od Drugi“ verkaufte sich 25.000mal, die Konzerte waren Tage vor dem Termin ausverkauft und, das nur nebenbei, völlig unabhängig davon, ob Vještice im serbischen Belgrad, im bosnischen Sarajevo oder zu Hause in Kroatien auftraten.

Noch im Herbst 1991, keine drei Monate bevor das alte Jugoslawien sich von der historischen Bühne verabschiedete, trieb die Dreierformation auf Serbien-Tournee die Kids zwischen Niš und Subotica in die Ekstase.

Bei Kriegsbeginn entschlossen sich Basser Saher und Drummer Leiner zur Emigration. Ihre Sicht auf den balkanischen Konflikt ist eigentlich fast zu einfach: „Ich bin Musiker“, sagt Leiner, „die Kanonen sind einfach lauter als meine Drums.“ Der 30jährige, der in Fachkreisen als eine Art Stewart Copeland des Balkans gehandelt wird, entschloß sich nach einem kurzen Blick über die Karte für Berlin als neuen Wohnort. „Ihr habt es hier in mehrfacher Hinsicht gut“, erklärt er, „es gibt viele Clubs, Plattenfirmen, Bands. Und ich hatte gehört, daß ich hier auch als Flüchtling wie ein Mensch leben könnte.“

Seit Mitte letzten Jahres bedient Boris Leiner nun das Schlagzeug bei der Kreuzberger Band Love Sister Hope. Seine 26. LP hat er in einem Berliner Studio aufgenommen. Und Vještice haben hier mittlerweile sogar eine eigene kleine Fangemeinde. „Es ist natürlich nicht ganz einfach, in meinem Alter ganz von vorne zu beginnen“, sagt der Schlagzeuger „aber es erhält jung — ich hatte schon fast verlernt, mein Schlagzeug selbst aufzubauen.“ Rüdiger Rossig

Heute ca 20.30 Uhr, UFA-Fabrik, Viktoriastraße 13, Tempelhof

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