: Das ZDF wird 30
■ Geburtstag des "Adenauer-Fernsehens": Von "Telesibirsk" zum Lerchenberg
Als am 1. April 1963 das Zweite Deutsche Fernsehen um 19.30 Uhr sein Programm mit einer kurzen Ansprache des Intendanten, Professor Dr. Karl Holzamer, begann, bedeutete dies das Ende der „privaten“ Fernsehpläne Adenauers, auch „Adenauer-Fernsehen“ genannt. Gleichzeitig führten die Verhandlungen über den ZDF- Staatsvertrag dazu, daß die Rundfunkpolitik Chefsache der Ministerpräsidenten und ihrer Staatskanzleien wurde.
Nachdem am 1. November 1954 das Gemeinschaftsprogramm der ARD seinen Sendebetrieb aufgenommen hatte und bereits 1957 über eine Million TV-Haushalte angemeldet waren, war bei Bundeskanzler Adenauer und mächtigen Wirtschaftsgruppen der Wunsch gewachsen, zentralen Zugriff auf das neue Medium zu bekommen.
Im September 1959 präsentierte das Kabinett einen Entwurf für ein Bundesrundfunkgesetz, das auch ein zentrales Fernsehprogramm vorsah. Dies kritisierte der SPD-Politiker Gustav Heinemann im Bundestag, das Gesetz bringe einen „Staatsfunk, schlimmer als wir ihn im Dritten Reich hatten“. Trotzdem ließ Adenauer noch während der parlamentarischen Beratung im Juli 1960 die „Deutschland Fernsehen GmbH“ gründen. Der Staatssekretär im Bundespresse- und Informationsamt wurde von der Bundesregierung ermächtigt, der „Freies Fernsehen GmbH“ den Auftrag zu erteilen, ein zweites TV-Programm vorzubereiten. Im Bundesetat wurden 120 Millionen Mark zur Verfügung gestellt.
Vier SPD-Bundesländer klagten vor dem Verfassungsgericht, und am 25. Februar 1961 wurden Adenauers Pläne für verfassungswidrig erklärt. Die „Freie Fernsehen GmbH“ wurde liquidiert.
Die ARD-Intendanten boten sofort nach dem Urteil ein zweites Fernsehprogramm an, für eine eigenständige Rundfunkanstalt sah man aber keine Notwendigkeit. Die Ministerpräsidenten der Länder lehnten dies ab und beschlossen im März 1961, eine eigenständige Anstalt zu gründen. Ab Mitte 1962 sollte zentral ein bundesweites zweites Programm den Sendebetrieb aufnehmen, bis dahin sollte die ARD zwei Stunden täglich ein Kontrastprogramm zu ihrem ersten ausstrahlen.
Die ARD-Anstalten forcierten ihre Planungen für regionale Dritte Programme, nachdem klar war, daß für das zweite Programm eine konkurrierende Anstalt gegründet werden sollte.
Die Ministerpräsidenten legten 1961 den ZDF- Staatsvertragsentwurf vor. Er ging von einer Finanzierung des ZDF durch 30 Prozent der Fernsehgebühren und Werbung aus. Mit seinem Vorschlag, bei der Besetzung der Kontrollgremien Fernseh- und Verwaltungsrat auf staatliche Gremienvertreter zu verzichten, fand der niedersächsische Ministerpräsident Hinrich Wilhelm Kopf allerdings nicht mal bei den eigenen Leuten Gehör.
Folgerichtig liest sich die Namensliste des ersten Fernsehrates wie das Who's Who? der bundesdeutschen Nachkriegspolitik: Rainer Barzel (CDU) und Jockel Fuchs bekamen den stellvertretenden Vorsitz im Fernsehrat. Auch die CDU-Ministerpräsidenten sicherten sich ihre Stühle: Kiesinger, Zinn, Röder, von Hassel. Aus Bonn kamen: Hans-Dietrich Genscher, Prof. Karl Holzamer (CDU), Karl Hermann Flach (FDP).
Bei der Intendantenwahl konnte die CDU ihren Bundesgeschäftsführer Bruno Heck (er fand die Situation Folterstadion in Santiago de Chile bei Sonne ganz nett) nicht durchsetzen, man einigte sich auf den Mainzer CDU-Stadtrat Professor Karl Holzamer. Dieser war während des Krieges Berichterstatter in einer Propagandakompanie gewesen und als aussichtsreicher Kandidat für die Leitung des Adenauer-Fernsehens gehandelt worden. Für die weiteren Posten wurde der berühmt-berüchtigte „Personalproporz“ ausgehandelt. Am 6. Juni unterschrieben in Stuttgart die Ministerpräsidenten den Staatsvertrag, eine Ratifizierung durch die Länderparlamente bis Jahresende war aussichtslos, trotzdem trat der Vertrag am 1.1. 62 in Kraft – man setzte auf die Macht des Faktischen. Erst am 9. Juli war die letzte Ratifizierung abgeschlossen. Die Parlamente verkamen dabei zu reinen Abstimmungsmaschinen. Hans Bausch, Intendant des Süddeutschen Rundfunks und CDU-Mitglied kritisierte den Vorgang treffend: „Mehr als zwei Dutzend Persönlichkeiten dürften die Entscheidungen kaum beeinflußt haben. (...) Ein entscheidendes Stück gesetzgeberischer Macht über den Rundfunk ging (...) von den Abgeordneten (...) auf die Chefs der Exekutive in den Bundesländern über.“
Zwar sollte der Sendestart am 1.Juli 1962 sein, aber man besaß weder Gebäude, technische Anlagen noch Programme. Deshalb wurde die Konkursmasse des Adenauer-Fernsehens „Freies Fernsehen GmbH“ für 30 Millionen Mark in Eschborn bei Frankfurt sowie der Programmstock gekauft und 50 Mitarbeiter übernommen. Angesichts der Probleme erklärte sich die ARD bereit, ihr zweites Programm bis zum 31. März 1963 fortzuführen, insgesamt gab es 22 Monate lang ein zweites ARD- Programm.
Zu Hause auf dem Sofa sah man nicht, unter welchen Bedingungen das ZDF auf Sendung ging. Die Anlagen in Eschborn, wo das ZDF zunächst residierte, waren in Baracken untergebracht, was zu dem anheimelnden Spitznamen „Telesibirsk“ führte. Philippe Ressing
Abb.: „Psychologie Heute“
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