In jedem steckt ein Menschenfresser

■ Kann Kann Kannibalismus Sünde sein? Nach einem Flugzeugabsturz ernährten sich 1972 die Überlebenden von Menschenfleisch / Demnächst gibt's die Geschichte im Kino / Drei Überlebende erzählen, wie es...

Sünde sein? Nach einem Flugzeugabsturz ernährten sich 1972 die Überlebenden von Menschenfleisch/Demnächst gibt's die Geschichte im Kino/Drei Überlebende erzählen, wie es wirklich war

„Papst Paul VI. hat uns 1972 ein Telegramm geschickt, mit dem Inhalt, daß das, was wir getan haben, für einen Katholiken zu verantworten ist“: Nando Parrado, zum Zeitpunkt des Flugzeugabsturzes gerade 21, ist fast erstaunt über die Frage, ob der Vatikan sich später nie beschwert hat, daß Katholiken ihre besten Freunde verspeist hätten. Das Überleben, damals in den schneebedeckten Anden, war für ihn keine moralische Entscheidung oder gar eine religiöse. Nando Parrado hatte Hunger, nach zehn Tagen ohne Nahrung, beschlossen er und die anderen Überlebenden des dramatischen Flugzeugabsturzes mit dem Sinn für's Praktische ihr Leben zu retten, in dem sie die Toten aßen, einst Mitglieder derselben Rugby-Mannschaft wie sie selbst.

Ihre Geschichte beschäftigte Anfang der Siegziger wochenlang die Medien: 70 Tage verbrachten die Überlebenden des Absturzes damals in der weißen Hölle und ernährten sich die meiste Zeit von Menschenfleisch. Unter dem schlichten Titel „Überleben“ ist nun ein Film aus dem Überlebenskampf geworden, der das hohe Lied auf die Mitmenschlichkeit singt und das Unvorstellbare beinahe dokumentarisch wirken läßt.

Anläßlich des Streifens, der am 13. Mai ins Kino kommt, hatten Parrado, Roberto Canessa und Gustavo Zerbino gestern auf einem Sofa des Hamburger Atlantic Platz genommen. Was hat sie damals gerettet? Ihr sportlicher Körperbau, Teamgeist? Oder war es Gott? Tausendmal schon haben die drei diese Frage beantwortet. Die Antwort war immer dieselbe, „wir haben überlebt, weil wir als Gruppe zusammengehalten haben“.

Kommunist ist darüber allerdings keiner von ihnen geworden, „nein, nein, ich bin Kapitalist, aber trotzdem, wir haben nur überlebt, weil wir uns immer füreinander verantwortlich gefühlt haben“, sagt Canessa. Das sogenannte Naturgesetz, daß sich in der Not jeder selbst der nächste ist, sei wohl falsch, fügt er hinzu. Eine großartige Erfahrung! Und die Menschenfresserei? Parrado setzt sich grade hin. „In jedem Menschen steckt eine Menge, von dem er nichts weiß“, spricht er bedeutungsvoll.

Alpträume hat er wegen seiner kannibalen Phase nicht, und auch die Verwandten derjenigen, die

1nach ihrem Ableben zum Fleischvorrat wurden, hatten vollstes Verständnis. Eine Ausnahme? „Nein“,

1sagt Zerbini, „jeder Mensch hätte gehandelt wie wir, wenn es um sein Leben geht.“ Das ist es wohl, es

1gibt Momente, da ist sogar Menschenfresserei normal. Christa Thelen