Kampf um die Straße

■ Gesundheitsforum zum Verkehr

Charlottenburg. In die Vergangenheit zurückzuschauen, erweitert manchmal den Horizont. Das war sicher auch der Grund, warum Bezirksstadträtin Annette Schwarzenau (AL) auf dem 3. Charlottenburger Gesundheitsforum an den Mediziner und Politiker Rudolf Virchow erinnerte. Er habe im vergangenen Jahrhundert erkannt, daß Gesundheitspolitik sich nicht in der Behandlung von Krankheiten erschöpfen dürfe – denn viele Leiden könnten von vornherein vermieden werden.

Auf dem 3. Gesundheitsforum ging es diesmal um das Thema Verkehr. Angesichts der bekanntgewordenen dramatischen Schadstoff- und Lärmbelastungen sowie der zweithöchsten Unfallzahlen im Vergleich mit den anderen Berliner Bezirken forderte Schwarzenau eine Wende in der Verkehrspolitik. Charlottenburg, betonte die Stadträtin, sei der einzige Bezirk, in dem für einen Teil der Verkehrsfragen die Abteilung Gesundheit zuständig sei. Außerdem sei der Bezirk – wieder als einziger – dem nationalen Gesunde-Städte- Netzwerk beigetreten.

Damit hat sich Charlottenburg den von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) formulierten Zielen verpflichtet, eine gesundheitsfördernde Gesamtpolitik zu entwickeln, die Kompetenzen von Bürgern zu stärken und die Gesundheitsdienste umzugestalten. Doch trotz des Beitritts im vergangenen Sommer, rügte Schwarzenau die Bezirksamtskollegen, werde der ressortübergreifende Anspruch bei Gesundheitsfragen immer wieder abgebügelt.

Auf dem Forum im Haus der Kirche bemühte auch der Hamburger Uwe Thesling, Sprecher des Netzwerks, die Geschichte. Mit Hilfe eines Diavortrags verdeutlichte er, daß um die Nutzung „der Straße“ gekämpft werde, seitdem es sie gibt. Im Mittelalter gehörten die Wege in der Stadt den Handwerkern und Händlern. Die Patrizier hätten mit ihrer Macht die Straßen später aber regelrecht leergefegt, dann seien die öffentlichen Flächen lange den Reichen vorbehalten geblieben – zum Promenieren.

Mit der Motorisierung wurde der Straßenraum erneut den Wohlhabenden vorbehalten. Auch heute, sagte Thesling, leisteten sich eher die Besserverdienenden und vor allem Männer einen Privatwagen. Um eine gerechtere Verteilung der Straßenfläche müsse also weiterhin gekämpft werden, schloß er und erinnerte an die wochenlangen Blockaden von Anwohnern auf der Hamburger Stresemannstraße. Der Senat habe auf Grund des öffentlichen Drucks auf der bedeutenden Ausfallstraße die Geschwindigkeit auf Tempo 30 vermindern müssen. Dirk Wildt