Irland: Zensurschere klemmt

■ Der Oberste Gerichtshof interpretiert „Section 31“

Dublin (taz) – Der Oberste Gerichtshof in Dublin hat der irischen Regierung einen Strich durch die seit über 20 Jahren praktizierte Medienzensur gemacht. Die Richter entschieden, daß das berüchtigte Gesetz „Section 31“ nicht als allgemeines Verbot zu verstehen sei, Mitglieder von Sinn Fein – dem politischen Flügel der IRA – zu interviewen, solange die Sinn-Fein- Leute nicht im Namen der Partei sprechen. Das Urteil ging auf die Klage des Gewerkschaftsführers Larry O'Toole zurück, der sich zu einem Streik bei seinem Arbeitgeber einer Großbäckerei nicht äußern durfte, weil er gleichzeitig Sinn Fein angehört. Im Dezember erhielt O'Toole in erster Instanz Recht, doch der irische Staatsfunk RTE legte Berufung ein und trieb die Selbstzensur damit auf den perversen Höhepunkt: Eine Sendeanstalt rief die Gerichte an, damit sie die Zensurbestimmungen nicht lockerten.

Die Wurzeln der Zensur gehen auf das Jahr 1972 zurück. Damals hatte der RTE-Reporter Kevin O'Kelly den Stabschef der IRA, Sean McStiofain, interviewt. McStiofain wurde daraufhin wegen IRA-Mitgliedschaft zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. O'Kelly erhielt drei Monate, weil er sich geweigert hatte, die Tonbandstimme zu identifizieren. Die Regierung verlangte darüber hinaus O'Kellys Entlassung. Als der RTE- Vorstand sich sträubte, wurde er kurzerhand des Amtes enthoben und durch gefügigere Leute ersetzt. Das hat tiefe Spuren bei RTE hinterlassen: Gewerkschafter, Folksänger, Kabarettisten und sogar John Lennon sind seitdem der Zensur zum Opfer gefallen.

Während Sinn Fein und die Journalisten-Gewerkschaft das Urteil vom Dienstag begrüßten, hat es bei RTE offenbar tiefe Verwirrung ausgelöst. Zwar kam zum ersten Mal seit mehr als zwanzig Jahren ein Sinn-Fein-Mitglied im Staatsfunk zu Wort, als RTE-Radio vor dem Gerichtsgebäude live mit Larry O'Toole sprach, doch als die Kollegen vom TV Minuten später ebenfalls ein Interview führen wollten, kam aus der RTE- Chefetage das Verbot. Generaldirektor Joe Barry erklärte am Mittwoch, daß man „das Urteil zunächst studieren“ müsse. Ralf Sotscheck