„Eigene Grenzen überschreiten“

■ Rosa Cappabianca, Sprecherin der Frauengruppen in der Frankfurter KAV

taz: Das Frankfurter Sport- und Badeamt hat Anfang März für Musliminnen in einem Schwimmbad in der Innenstadt eine wöchentliche Frauenschwimmstunde eingerichtet. Sie war von der Frauengruppe der Kommunalen Ausländervertretung (KAV) erwirkt worden. Gehen solche Zugeständnisse im Namen von Multikultur nicht etwas zuweit?

Cappabianca: Nein, warum? Ich weiß, daß Sie darauf hinaus wollen, zu sagen: Hier wird nur die „tyrannische“ Macht der muslimischen Männer zementiert. Das Problem nur aus dieser Perspektive zu sehen wäre aber falsch. Über 25.000 muslimische Frauen leben in Frankfurt. Die meisten von ihnen gehen nie in ein Schwimmbad, weil sie es mit ihrer Kultur nicht vereinbaren können, sich zwanglos unter Männern aufzuhalten. Das muß man respektieren. Es geht doch zunächst um ein echtes Bedürfnis, das aus kulturellen Gründen hier bisher nicht befriedigt werden konnte. Daß es letztlich mit einer männerdominierten Welt zu tun hat, ist klar. Selbst aus feministischer Sicht ergibt sich da nur bedingt ein Widerspruch, denn es war schon immer eine Forderung der Frauenbewegung, sich „Räume“ zu schaffen, wo Frauen unter sich sein können.

Multikulturelles Zusammenleben muß zwangsläufig auf Grenzen stoßen. Wo sehen Sie die wichtigsten Hürden der Toleranz?

Die Grenzen der multikulturellen Gesellschaft lassen sich nicht für alle verbindlich abstecken. Die wichtigste Hürde der Toleranz ist für mich persönlich allerdings dann gegeben, wenn abseits des Privaten demokratische Grundsätze beschnitten werden. Aber davon kann ja gar nicht die Rede sein. Wo haben Ausländer bisher politisch teilhaben können, um unter Beweis zu stellen, daß sie undemokratisch handeln würden?

In der 51köpfigen KAV sind nur acht Frauen vertreten. Sie kommen aus fünf unterschiedlichen Kulturkreisen. Kann es unter diesen Voraussetzungen gemeinsame Ziele geben?

Wir treffen uns regelmäßig und versuchen, nationalitäten- und parteiübergreifend unsere Entscheidungen so zu treffen, daß die allgemeine Frauenfrage im Mittelpunkt steht, nicht unsere kulturelle Herkunft. Ob Deutsche oder Ausländerinnen, die Position der Frauen ist zunächst in beiden Fällen im Verhältnis zu den Männern nicht gleichberechtigt. So gesehen ist es für uns sehr viel einfacher, gemeinsame Ziele zu formulieren. Die Forderung nach einer Frauenschwimmstunde haben wir einstimmig verabschiedet, weil die Frauenfrage an erster Stelle stand.

Mit welchem Problem haben ausländische Frauen am meisten zu kämpfen?

Zweifellos in erster Linie mit dem Erhalt des Arbeitsplatzes. Es ist eine Tatsache, daß Ausländerinnen von Unternehmen, die in Not geraten, zuerst entlassen werden. Wir als Frauengruppe kümmern uns darum, daß diesen Frauen ein Ausbildungsangebot gemacht wird und daß sie eine ordentliche Beratung erfahren. Solche Probleme sind nationalitätenübergreifend. Hier spielt es keine Rolle, ob die Betroffenen Türkinnen, Italienerinnen oder Spanierinnen sind. Nationalitätenspezifische Debatten tauchen bei uns sehr selten auf. Aber auch die nehmen wir ernst. Das heißt anders gesagt: Wir Frauen von der KAV haben gelernt, eigene Grenzen zu überschreiten, um Belange der anderen zu respektieren und Mängel aufzuarbeiten. Und davon gibt es viele. Es wäre ja Unsinn, zu meinen, frau könnte hier in Frankfurt, jede Nationalität für sich, etwas fordern. Würden wir es tun, könnten wir KAV-Frauen kaum für mehr multikulturelles Personal in den Kindergärten, mehr ausländische Vertrauenspersonen in Schulen, mehr Fortbildungs- und Ausbildungsmaßnahmen eintreten.

Ist Frankfurt mit seinen 27 Prozent Ausländeranteil aus Ihrer Sicht eine multikulturelle Stadt?

Politisch und sozial gesehen, überhaupt nicht. Ich bin seit 25 Jahren in Frankfurt am Main, und ich glaube, die Verwirklichung dieser Utopie werde ich nicht erleben. Von einer multikulturellen Gesellschaft könnte man nur reden, wenn verschiedene Ethnien neben- und miteinander leben würden, ohne daß man/frau das bewußt wahrnehmen würde. Gäbe es ein Wahlrecht für alle, gäbe es unsere Probleme nicht mehr. Aber das kommt 1997 – sofern überhaupt – nur für EG-Ausländer und dann nur als Kommunalwahlrecht. Die multikulturelle Gesellschaft wird es dann längst nicht geben.

Also Resignation?

Nein, aufgeben niemals! Im Gegenteil. Wir müssen weiterkämpfen. Wenn wir schlafen und nichts tun, dann können wir noch mal fünfzig Jahre warten.

Das Gespräch führte

Franco Foraci