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Indien verzichtet auf Geld

Regierung will das Narmada-Staudammprojekt ohne Weltbankgeld durchziehen/ Die Umweltauflagen der Weltbank schienen zu hoch  ■ Aus Neu-Delhi Bernard Imhasly

Indiens Regierung verzichtet auf Geld von der Weltbank für das umstrittene Narmada-Staudammprojekt. Gestern ist die Frist abgelaufen, welche die Bank der indischen Regierung im letzten Oktober gesetzt hatte, um die Pläne für das Großprojekt nachzubessern. Nach diesen Plänen soll der Flußlauf des Narmada durch 30 Großstaudämme, 135 mittlere und 3.000 kleine Dämme völlig neu gestaltet werden, um die Wasserversorgung für 30 Millionen Menschen sicherzustellen. Die Kehrseite: Allein die erste Stufe des Projekts, der über 200 Kilometer lange Sardar-Sarova-Stausee, würde 40.000 Hektar Ackerland und 234 Dörfer fluten. 100.000 Menschen müßten umgesiedelt werden.

Nach Protesten von indischen und internationalen Umweltschutz- und Menschenrechtsgruppen hatte die Weltbank die Ausarbeitung eines Umwelt-Management-Plans für das ganze Einzugsgebiet, eine detaillierte Datenaufnahme über alle umzusiedelnden BewohnerInnen in der Flut- und Kanalzone sowie institutionelle Verbesserungen des Umsiedlungsprogramms unter Einbeziehung privater Hilfswerke verlangt. In ihrer Verzichtserklärung auf das Weltbankgeld hat die indische Regierung klargemacht, daß sie das Projekt auf jeden Fall weiterbetreiben und die Summe von 180 Millionen Dollar selber aufbringen wird. Das dürfte ihr beim gegenwärtigen Stand an Devisenreserven (rund sechs Milliarden Dollar) nicht allzu schwerfallen.

Obwohl Indien zu Beginn alles daransetzte, den Weltbank-Anforderungen nachzukommen, wurde in den letzten Wochen immer deutlicher, daß die Frist nicht einzuhalten war. Statt um eine Verlängerung nachzusuchen, beschloß die Regierung, das Handtuch zu werfen. Dies fiel ihr um so leichter, als sie den im Jahre 1985 zugesprochenen Krediten (250 Millionen Dollar über das IWF-Kunstgeld Sonderziehungsrechte [SZR] und 200 Millionen Dollar) von der in der Rückzahlung teureren Dollar- Tranche nur 20 Millionen genutzt hat, während sie die zu leichteren Bedingungen laufenden SZR bereits voll genutzt hat. Zudem fürchtete die Regierung, daß die Weltbank Umweltauflagen nach dem Narmada-Vorbild künftig auch für andere Wirtschaftsprojekte schaffen könnte.

Auch die Weltbank dürfte über den freiwilligen Kreditverzicht erleichtert sein. Eine von ihr eingesetzte unabhängige Kommission unter Bradford Morse war 1992 zu einer äußerst negativen Beurteilung der sozialen und ökologischen Schutzmaßnahmen gekommen. Der Morse-Bericht hatte die indische Protestbewegung zu einer internationalen Kampagne von Umweltgruppen anschwellen lassen, welche besonders die amerikanische und die europäischen Regierungen auf Distanz zum Narmada- Projekt gehen ließen.

Dies führte zu beträchtlichem Druck auf das Weltbank-Management, das im Unterschied zur Stimmenmehrheit des Exekutivrates eine weitere Unterstützung befürwortete. In hiesigen Regierungskreisen ist die Meinung verbreitet, der Rat habe die Meßlatte für eine weitere Unterstützung bewußt so hoch gesetzt, um Indien schließlich keine andere Wahl zu lassen, als auf das Geld zu verzichten und der Bank die Verlegenheit zu ersparen, einem Mitglied den Kredithahn abzustellen.

Die indische Regierung hat versprochen, die eingegangenen umwelt- und menschenrechtlichen Verpflichtungen einzuhalten. Aber es besteht kein Zweifel, daß sie der Erfüllung der Projektziele – allen voran Bewässerung von zwei Millionen Hektar Land und Trinkwasserversorgung für 30 Millionen Menschen – nach wie vor erste Priorität gibt: eine human gestaltete Umsiedlung und umweltpolitische Maßnahmen sind zwar wichtige Ziele, aber im Konfliktfall dem ersten nachgeordnet. Nach dem Ausscheiden der Weltbank wird es der internationalen Öffentlichkeit in Zukunft schwererfallen, die dabei zu beachtenden Minimalnormen auch durchzusetzen.

Der Verzicht bedeutet zweifellos einen Sieg der indischen Umwelt-Gruppen, die sich in den letzten Jahren über qualifizierte Kritik immer mehr einer Gesamtablehnung des gigantischen Projekts angenähert haben. Sie sehen im Rückzug der Weltbank denn auch bloß einen „ersten Schritt“, der schließlich in einen Baustopp münden müsse. Ob die Kritiker mehr als einen Publizitätserfolg gebucht haben, wird sich allerdings erst noch zeigen müssen. Die Kofinanzierung hat der Weltbank Einfluß- und Kontrollmöglichkeiten gegeben, die weit über ihrem Anteil von rund 15 Prozent an der Gesamtfinanzierung lagen und die sie auch auszuüben begann.

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