Wie FCKW-frei ist die Bundesrepublik?

Als erstes EG-Land steigt Deutschland aus der Ozonkiller-Produktion aus/ Jedoch: Die Altlasten sind immens, und von den Ersatzstoffen droht neue Gefahr für die Ozonschicht  ■ Von Thomas Worm

Gern brüstet sich die Bundesregierung damit, daß sie spätestens 1994 das erste „FCKW-freie Land“ der Welt sein wird. Mit ihrem totalen Produktionsstopp für FCKW und Halone, ein Jahr früher als die anderen Industrieländer, haben die Deutschen innerhalb der EG die Nase vorn. Der Jahresverbrauch dürfte 1992 hierzulande unter 50.000 Tonnen gesunken sein, und er sinkt weiter. Jedoch: die Altlasten steigen, sowohl in ihrer Menge als auch in die Atmosphäre.

Denn 140.000 Tonnen FCKW und 10.000 Tonnen Halone, so lauten die Schätzungen, stecken als Kältemittel in Gefriertruhen, als Schäumer in Isolierstoffen, als Brandschutzchemikalie in Feuerlöschern. 140.000 Tonnen – das ist mehr als die deutsche FCKW-Jahresproduktion zu ihren Spitzenzeiten Mitte der 80er. Sollten diese Altlasten ins Freie gelangen, dann verschleppt sich der De-facto-Ausstieg Deutschlands aus dem Ozonkiller-Klub, gemessen am derzeitigen Produktionslevel, um rund ein halbes Jahrzehnt. Obgleich das in anderen Ländern ähnlich sein dürfte, bleibt die Tatsache, daß Töpfers Umweltministerium die Dimension des Altlastenproblems übersehen hat.

So ist die Wahrscheinlichkeit, daß die Alt-FCKW gen Himmel steigen, sehr hoch. Nur 500 Tonnen finden jedes Jahr ihren Weg in deutsche Rücknahmedepots. Anreize zur Rückgabe gibt es nicht, ganz im Gegenteil. Der Hoechst- Konzern etwa, moniert Greenpeace, läßt sich die Rücknahme der FCKW, mit deren Verkauf der Millionen verdient hat, bezahlen. Eine Mark verlangt der Chemie- Riese für eine Kühlschrankfüllung FCKW. Ein Angebot, von dem sowieso nur Großanwender sinnvoll Gebrauch machen können, denn welcher Ozonfreund legt sich schon hinter den ausgemusterten Eisschrank, läßt 100 Milliliter Kühlflüssigkeit fachmännisch in ein Näpfchen tropfen, tütet die Ausbeute zusammen mit einer Mark in Form von Porto ein, um sie dann an die Frankfurter Hoechst AG zu schicken?

Auch die Entsorgung des ausgedienten Kühlschranks über die Stadtreinigung kostet mit Trinkgeld leicht einen halben Hunderter, und da landet ein alte Kiste, wie bei Fernseh-Ekel Motzki, schon mal anonym in der Baugrube. Um das Problem Zehntausender Tonnen Altlasten aus der Welt zu schaffen, wäre ein funktionierendes Entsorgungssystem nötig: Industrie und Bundesregierung sind es schuldig geblieben.

Der Löwenanteil – vielleicht ein Drittel – der alten FCKW führt ein unbeachtetes Dasein in der Poren von Polyurethan-Schäumen, die der Wärmeisolation dienen. Zwar hat die dänische Firma L&E Miljoteknik ApS ein wahres Rückgewinnungs-Ungetüm vorgestellt, in dem die Platten unter Wasser gepreßt und die austretenden FCKW-Blasen aufgefangen werden. Aber die Jahreskapazität der skandinavischen Dämmplatten- Quetsche beträgt ganze 15.000 Stück von 1,50 Meter Länge.

Die Schäume sind denn auch bevorzugter Anwendungsbereich für ein höchst dubioses chemisches Double der FCKW: die sogenannten teilhalogenierten FCKW. Die Teilhalogenierten (H-FCKW) besitzen immerhin noch die fünf- bis zehnprozentige Zerstörungsenergie der FCKW, die sie vorübergehend bis zum Ende des Jahrtausends ablösen. Und die Treibhauskräfte dieser „weichen“ Ersatzstoffe sind ähnlich stark wie die der FCKW. Der Ersatzstoff R22 zum Beispiel verfügt über das 4.100fache Erwärmungspotential der gleichen Menge CO2. In die Irre geführt wird das kaufende Publikum, das glaubt, Dämmstoffe mit dem Prädikat „enthält keine FCKW nach Montrealer Protokoll“ seien Umweltsofties.

Meist hausen die H-FCKW in den Dämmplatten, was aber aus den üblichen Info-Zetteln nirgends hervorgeht. Hartnäckiges Nachfragen beim Händler und besorgte Fanpost an den Fabrikanten lassen auf der Anbieterseite gewiß mehr Fingerspitzengefühl gegenüber den Schäummitteln entstehen. Zumal schon heute R22 ohne technische Probleme durch einen Bestandteil des menschlichen Atems ersetzt werden könnte: durch Kohlendioxid. Das gilt natürlich auch für geschäumte Sitzpolster, Matratzen und Turnschuhsohlen. Warum also leisetreten, wenn's um Alternativen geht?

Die Karriere-Substanz unter den FCKW-Ersatzmitteln ist FKW 134a. In diesen chlorfreien Fluorkohlenstoff, dessen Ozonzerstörungspotential mit Null angegeben wird, setzt die Kühlgeräte-Industrie langfristig große Hoffnungen. Nun ist aber FKW 134a ein immenser Heizer in der Familie der Treibhausgase. Allein die geplante Jahresproduktion der Hoechst AG von 10.000 Tonnen besitzt ein Treibhaus-Äquivalent von 320 Millionen Tonnen CO2; das entspricht dem gesamten Güterverkehr zwischen Rhein und Neiße. Grund genug allemal für einen Kariere-Knick.

Und noch eines verpaßt dem Karrieristen 134a einen derben Schlag: Er geht gar nicht komplett auf Ozon-Schmusekurs. Da der Treibhauseffekt, wie jüngst der Spiegel meldete, zur Abkühlung der Stratosphäre führt, was wiederum die Auflösungs-Chemie der Ozonschicht beschleunigt, ist auch FKW 134a ein indirekter Ozon- Killer.

Bei alledem bleibt für alle „Kühlschrank-Betreiber“ in puncto Treibhauseffekt der Energieverbrauch ihres Gerätes entscheidend. Und da entsteht das Hauptproblem am anderen Ende der Steckdose – es quillt als Treibhausgas aus den Schloten der Stromkraftwerke. Neue Geräte schlucken nur noch ein Drittel soviel Energie wie Modelle zu Beginn der 70er. Wer sich als besonders sparsamer Öko-Sympathisant wähnt, weil ein abgegrabschter Uraltkühlschrank die Küche ziert, hat noch nichts begriffen: Raus mit den Energiefressern!