Achtung! Marsch? Kehrt? Rührt euch!

Die Entscheidung des UNO-Sicherheitsrats, das Flugverbot über Bosnien gewaltsam durchzusetzen, hat den Streit zwischen CDU/CSU und FDP über die Verfassungsmäßigkeit einer deutschen Beteiligung an Awacs-Aufklärungsflügen neu entfacht.

Am Montag im FDP-Präsidium waren sich die freidemokratischen Spitzen noch einig. Die Lage sei „beschissen“, klagten Teilnehmer nach der Sitzung. Der in Bonn geschlossene Awacs-Kompromiß, so hieß es, sei niemandem „zu vermitteln“. Jetzt müssen es die Liberalen trotzdem versuchen. Der Beschluß des UNO-Sicherheitsrates, das Flugverbot über Bosnien militärisch durchzusetzen, führt dazu, daß das in Geilenkirchen bei Aachen stationierte Awacs-Aufklärungsgeschwader der Nato in einer Woche zum Balkan starten wird, um dort mit Luftaufklärung und Feuerleitung den Abschuß serbischer Jagdflugzeuge zu ermöglichen. Folge: Die Bundesregierung muß klären, ob die deutschen Soldaten an Bord der 18 Maschinen bleiben.

Der New Yorker Beschluß traf die Bonner Regierungsparteien aus heiterem Himmel. FDP-Außenminister Klaus Kinkel war gerade in Neuseeland und wird an der für heute anberaumten Sondersitzung des Kabinetts nicht teilnehmen. Er will wie geplant nach Vietnam weiterreisen, um das Regime in Hanoi „nicht zu brüskieren“ und die deutsche Unternehmerdelegation in dem wirtschaftlich wichtiger werdenden Land nicht allein zu lassen. Kanzler Kohl war erst am Mittwoch in seinem österreichischen Urlaubsort Bad Hofgastein eingetroffen und eilt nun zurück nach Bonn.

Wenn Kohl heute um 12 Uhr die Kabinettssitzung eröffnet, ist Kinkel irgendwo im Luftraum zwischen Manila und Hanoi. In seiner Abwesenheit fällt dann der Startschuß für das „Affentheater“ (Ex- Kanzler Helmut Schmidt), dessen Inszenierung die Bonner Koalition vor einer Woche verabredet hatte. Die Regierung wird gegen die Stimmen der FDP-Minister „einen Verbleib der Soldaten der Bundeswehr in den Awacs-Verbänden beschließen“. Die FDP-Fraktion wird gleich darauf beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eine einstweilige Anordnung gegen den Regierungsbeschluß beantragen.

Doch was passiert dann? Kinkel und der Kanzler hoffen und glauben, daß Karlsruhe eine Entscheidung trifft, bevor die Nato dem Awacs-Geschwader den Einsatzbefehl gibt. Sollte sich das Gericht mehr Zeit nehmen, kommt die Koalition erneut in die Bredouille. Kinkel und FDP-Chef Otto Graf Lambsdorff beharrten auch gestern darauf, daß die deutschen Soldaten nicht in die Flugzeuge einsteigen, bevor Karlsruhe entschieden hat. Die Unionsfraktion hingegen will, daß die Deutschen von Anfang an dabei sind.

Der Koalitionsbeschluß vom vorvergangenen Mittwoch gibt für diesen Fall nichts her. Lediglich mündlich, so heißt es im Kanzleramt, habe man eine Verabredung getroffen. Danach sind CDU und CSU bereit, die Soldaten einige wenige Tage zurückzuhalten, bis das Verfassungsgericht seinen Beschluß gefällt hat. Sollten die Richter hingegen signalisieren, sie bräuchten einige Wochen, müßte die Koalition neu entscheiden.

Das hieße: Die Koalition aus Union und FDP stünde erneut auf der Kippe. Das gilt erst recht, wenn das Gericht über die Klage der FDP-Fraktion gar nicht erst entscheiden sollte. Diese Rechtsmeinung hatte ihr die Bundesregierung selbst nahegelegt – in der etwa 80seitigen Regierungsstellungnahme zu der Klage, die die SPD-Fraktion im letzten Jahr wegen des Adria-Einsatzes der Bundesmarine eingereicht hatte.

Die SPD-Fraktion sei durch die Adria-Entscheidung nicht in ihren Rechten verletzt und könne deshalb überhaupt keine Gerichtsentscheidung beanspruchen, hatte die Regierung damals argumentiert. Pikanterweise war diese Begründung in den Behörden von FDP- Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und FDP-Minister Kinkel erarbeitet worden. Wenn sich die Bundesregierung jetzt eine Antwort auf die FDP- Klage überlegen muß, können sie sich folglich viel Arbeit sparen. Sie müssen einfach beim Justizministerium abschreiben – auch wenn sich Schnarrenberger diesmal aus naheliegenden Gründen nicht an der Klageerwiderung beteiligen will. Diese Aufgabe, so hieß es gestern, müsse jetzt die Behörde von Innenminister Rudolf Seiters (CDU) übernehmen.

Wäre es nicht besser, die ganze Regierung zöge gleich nach Karlsruhe um? Das fragte der Bonner General-Anzeiger die Justizministerin in einem gestern erschienenen Interview. „Der Gag“, antwortete Schnarrenberger, „ist nicht schlecht.“ Das Gericht in Karlsruhe findet die Sache sicher weniger lustig. Dort, so heißt es, wird der Zweite Senat unter dem Sozialdemokraten Ernst Mahrenholz den Fall entscheiden. Er muß gleichzeitig, das wurde gestern von der SPD-Außenpolitikerin Heidemarie Wieczorek-Zeul bekräftigt, über eine Klage der SPD-Fraktion entscheiden.

Wieczorek-Zeul traf sich gestern vormittag mit der grünen Europaabgeordneten Eva Quistorp zum öffentlichen Disput über die Frage von Militäreinsätzen in Bosnien. Die „rote Eva“ und „die rote Heidi“, wie Quistorp sich und ihre Kontrahentin vorstellte, streiften die Awacs-Frage nur ganz am Rande. Linke können manchmal ziemlich weltvergessen sein. Hans-Martin Tillack, Bonn