Ersatzmutter ja, aber bitte ohne Heiligenschein!

■ Wenn die Bauersfrau ausfällt, gibt es einen Ersatz: Die Dorfhelferin, Hausfrau und Interims-Mutter mit geregeltem Acht-Stunden-Tag

„Es ist das dritte Haus nach dem Ortsschild“, hatte die freundliche Frauenstimme am Telefon gesagt. „Wenn Sie von Lilienthal kommen, auf der linken Seite.“ Guten Mutes fuhr ich los, doch hier, nur 30 Kilometer von Bremen entfernt, habe ich plötzlich Schwierigkeiten, mich zurechtzufinden: Ohne Stadtplan, Straßennamen und ordentliche Hausnummern. Seit einer Viertelstunde schon bin ich in Rautendorf, am Rande des Moores, auf der Suche nach dem Hof der Familie Ohlrogge. „Ohlrogge“, wiederholt der alte Mann, bei dem ich in meiner Not geklingelt habe, und dehnt beim Sprechen jede Silbe: „Da müssen Sie bei der Bushaltestelle nach rechts fahren und dann das vierte Haus auf der rechten Straßenseite ...“ Erst beim vierten Ohlrogge werde ich fündig. Ja, lacht der Gesuchte, als ich ihm die Geschichte meiner Odyssee erzähle: „Hier ist das ein Name wie andernorts Müller.“

Gekommen bin ich aber nicht wegen ihm. Ich will die Frau, die zu der freundlichen Stimme gehört, kennenlernen: Heike Fischbeck ist Dorfhelferin und arbeitet seit einigen Tagen bei den Ohlrogges. Ingrid Ohlrogge, die Bäuerin, ist zur Kur nach Bad Schwartau gefahren. Einmal in fünf Jahren gönnt sie sich diese Erholung von Hof und Familie. Heike Fischbeck hält solange ihren Haushalt in Schuß: Bekocht die drei Kinder, den Vater und den Opa, wäscht, putzt, fährt die Mädchen zu ihren Freundinnen und macht den Garten frühjahrsfertig. „Stellen Sie sich vor, die Bäuerin fährt weg, und die ganze Arbeit bleibt einfach liegen. Wenn sie dann in das Chaos zurückkommt, ist ja sofort die ganze Erholung futsch!“ Damit die Landfrau guten Gewissens Mann, Kinder und Hof zurücklassen kann, zahlt die Landwirtschaftliche Alterskasse den kurenden Bauersfrauen eine Dorfhelferin.

hier die Wäschefrau

Der flexibel einsetzbare „weiße Riese“ für kurende Bäuerinnen

„Dorfhelferin, das gibt es wirklich! Früher habe ich mir vorgestellt, das sind tüchtige, selbstlose Frauen, die mit einem kleinen Heiligenschein von Herd zu Herd eilen.“ Seit 18 Jahren weiß Christa Göbe besser als jede andere, was eine Dorfhelferin ist, denn so lange schon leitet sie das Evangelische Dorfhelferinnenseminar in Fischerhude und sorgt nach Kräften dafür, daß aus ihren Schülerinnen keine kleinen Heiligen mit Helferinnensyndrom werden, sondern gestandene, berufstätige Frauen, die ihre Rechte kennen und sich nicht durch falsch verstandene Nächstenliebe knebeln lassen.

Das Wochenende ist frei

Dorfhelferinnen sind Berufshausfrauen und -mütter, die ihren Acht-Stunden-Tag planvoll einhalten. Auf dem Land, wo man das pausenlose Arbeiten gewohnt ist, ist das gar nicht so einfach, erzählt Heike Fischbeck. „Natürlich bleibt da auch manches liegen, was die Hausfrau abends noch so nebenbei erledigt.“ Doch die Bäuerin, die nicht nur Haushalt und Familie versorgt, sondern auch noch auf dem Hof mitarbeitet, kann und will die Dorfhelferin nicht ersetzen. Das gelegentliche Erstaunen mancher Familien — „Was, am Wochenende kommst du nicht?“ — nimmt Heike Fischbeck mit Gleichmut. Ihre Freizeit ist ihr heilig. „Am Wochenende arbeite ich nur bei einem echten Notfall. Wir müssen auch Grenzen ziehen, sonst verausgabt man sich. Einmal habe ich mich überfordert und nicht gemerkt, daß das nicht gut war. Ich fühlte mich kaputt und gestreßt. Wenn ich ausgeruht bin, reagiere ich auch gelassener, wenn was passiert. Wir können nicht jeden Tag voll powern.“ Im landwirtschaftlichen Betrieb hilft sie nur ausnahmsweise, die Haus- und Gartenarbeit reicht für einen Acht-Stunden-Tag. Die Zeiten, als die Dorfhelferinnen noch bei den Familien übernachteten und Tag und Nacht einsetzbar waren, sind schon lange vorbei.

Spart die Therapie

„Wenn die Hausfrau auf dem Hof ausfällt, fehlt ein richtiger Kern. Daran kann eine ganze Familie, sogar der ganze Betrieb zerbrechen. Die Frauen wissen teilweise selbst nicht, wieviel Arbeit sie leisten“, hatte mir Christa Göbe erzählt. Während des einen Jahres im Seminar wird den jungen Mädchen, die meist selbst aus landwirtschaftlichen Betrieben stammen, der Blick für den Wert und die Bedeutung dieser Frauenarbeit geschärft. Nur die Krankenkassen, die den Einsatz der Dorfhelferin bezahlen sollen, hätten diesen Wert noch nicht erkannt, seufzt die Seminarleiterin. „Diese Leute sind sich oft nicht im Klaren darüber, daß so ein vierwöchiger Einsatz immer noch billiger ist als für spätere Folgeschäden aufzukommen, wie Verwahrlosung oder Überarbeitung.“ Nur ein bis

zwei Prozent aller niedersächsi- schen Landfrauen leisten sich gelegentlich den Luxus einer Kur und der Vertretung durch eine Dorfhelferin. Viel zu wenig, findet Klaus Trudwig von der Landwirtschaftlichen Alterskasse in Hannover: „Unsere Versicherten gehen meistens erst dann in Kur, wenn es zu spät ist und wir es schon mit faustdicken Befunden zu tun haben.“

Während die landwirtschaftlichen Kassen die Kosten für die Einsätze der Dorfhelferinnen inzwischen recht problemlos erstatten, hapert es bei den anderen Krankenkassen noch, meint Ursula Buthmann, Einsatzleiterin der Dorfhelferinnenstation in der Gemeinde Ottersberg. Sie plant die Einsätze von Heike Fischbeck undd ihrer Kollegin in der 10.000 EinwohnerInnen zählenden Gemeinde. Ein Ehrenamt, das viel Organisationstalent erfordert. Denn es gilt, langfristig geplante Einsätze und kurzfristige Notfälle mit Urlaubsplänen zu koordinieren. Über die Hälfte ihrer Einsätze leisten die Ottersberger Dorfhelferinnen

hier die beiden Frauen

am Küchentisch

„Manchmal haben die Hausfrauen ein schlechtes Gewissen — weil sie andere für sich arbeiten lassen.“ Fotos: Guido Schiefer

inzwischen in nicht-landwirtschaftlichen Betrieben. Doch den normalen Krankenkassen ist deren Einsatz, die sie etwa 30 Mark in der Stunde kostet, oft zu teuer.

Lieber mit den Kindern

spielen als den

Küchenboden wienern

Drei Jahre Ausbildung zur Hauswirtschafterin im ländlichen Bereich, ein weiteres Jahr Fachschule für den Abschluß als ländliche Wirtschafterin und ein Jahr im evangelischen Dorfhelferinnenseminar in Fischerhude hat Heike Fischbeck hinter sich. Fünf Jahre Ausbildung, drei Prüfungen, bevor sie vor einem Jahr ihren ersten Einsatz als Dorfhelferin hatte. Im Seminar werden ganz andere Schwerpunkte gesetzt als in den hauswirtschaftlichen Ausbildungsgängen, erzählt sie: „Als Wirtschafterin wurden wir vor allem darauf getrimmt, daß der Haushalt immer ordentlich ist und alles blitzt. In Fischerhude haben wir gelernt, daß der Mensch im Mittelpunkt steht. Es ist viel wichtiger, mit den Kindern zu spielen als den Küchenboden zu wienern.“ Ein Credo, das in den ländlichen Haushalten oft auf Unverständnis stößt. Seit wann ist Spielen Arbeit??

Es ist gemütlich, in der Küche bei Ohlrogges zu sitzen und nach draußen in den Garten zu schauen, in dem sich gerade das erste zarte Grün zeigt. Im Ofen knacken die Holzscheite, nebenan rumpeln Geschirrspüler und Waschmaschine. Noch ist Ruhepause auf dem Land, man tankt Kräfte für die harte Arbeit im Sommer. „Dann wollen wir mal weitermachen“, sagt Heike und bindet sich die Schürze um. Die Kinder haben sich zum Mittagessen Lasagne gewünscht.

Die Dorfhelferin

hat Schweigepflicht

Wer, wie Heike Fischbeck, fast jeden Monat in einem anderen Haushalt arbeitet, könnte viel erzählen. Doch die Dorfhelferin hat Schweigepflicht. „Die Frauen sollen auch einfach mal mit jemand reden können, ohne daß es gleich im ganzen Dorf rumgetratscht wird.“ Streng genommen darf Heike Fischbeck auch niemand erzählen, wo sie gerade arbeitet. Doch Dörfer wie Fischerhude und Rautendorf sind klein: „Oft wissen die

Leute im Dorf noch vor mir, wo mein nächster Einsatz ist.“

Am liebsten hat Heike Fischbeck die Einsätze, wenn die Hausfrau kurt oder ein Kind bekommt. Schwierig und traurig seien Einsätze bei schweren Krankheiten oder nach Sterbefällen. „Das schiebt man abends dann nicht so leicht weg.“ Oder es gibt Spannungen in der Familie, in der sie arbeitet: „Dann muß ich aufpassen, daß ich nicht zwischen den Fronten stehe. Ich will mich da von niemand reinziehen lassen.“ Wenn es hart kommt, kann sie sich „bei meiner Vertrauensfrau auf dem Sofa ausheulen“. Das ist für die meisten Dorfhelferinnen die Einsatzleiterin. „Es gibt leider noch keine Supervision für die Frauen“, sagt Christa Göbe. Dabei sei die „Belastung manchmal so groß, daß es gar nicht auszuhalten ist“.

Keine Familientherapeutin

In Fischerhude versuchen die Lehrerinnen, die jungen Frauen auf solche Situationen vorzubereiten. Sie sollen sich in Krisensituationen nicht als Familientherapeutin versuchen, sondern lieber den Gang zu einer Beratungsstelle empfehlen. Im Seminar wird Wert gelegt auf eine breite Ausbildung, die nicht nur hauswirtschaftliche Fächer und Kranken-, Kinder- und Altenpflege umfaßt, sondern auch Soziologie, Pädagogik und Psychologie. „Wir sprechen viel über das Frauenbild und die Stellung der Frau in der Gesellschaft. Und die Frauen beschweren sich manchmal, daß die Männer bei mir immer so schlecht wegkommen“, sagt Cornelia Wolf-Becker, Lehrerin für Soziologie und Deutsch. „Die Frauen lernen, die gesellschaftlichen Dimensionen zu erkennen; und wenn sie später Probleme haben, fangen sie nicht sofort an, an sich selbst zu zweifeln.“

Die Ersatzfrau

Spannungsreich kann auch die Beziehung zur Haufrau selbst sein, die sich — vielleicht, weil sie sich ein Bein gebrochen hat — auf einmal ihrer Vertretung gegenüber sieht. „Manchmal“, erzählt Heike Fischbeck, „ist das lästig, wenn sie meint, mir sagen zu müssen, wie man einen Besen hält. Es gibt auch Frauen, die legen uns Zettel hin, was wir alles tun sollen. Das finden wir nicht

so toll. Wir sehen das schon, wenn was zu tun ist.“ Es dauert eine Weile, bis die Frauen merken, „daß die Dorfhelferin ihnen nichts wegnimmt, sie vertritt und nicht ersetzt“, erkärt Christa Göbe. Es gebe aber auch die Unverbesserlichen, „die arbeiten bis zum letzten Moment und sich was drauf einbilden“. Und manche, hat Heike beobachtet, haben „ein schlechtes Gewissen, weil sie andere für sich arbeiten lassen. Oder sie haben Angst, daß die Leute im Dorf denken, sie schaffen das nicht mehr.“ Es ist eine Gratwanderung, die Fingerspitzengefühl erfordert: Die Dorfhelferinnen wollen und können die Familien, in denen sie arbeiten, nicht völlig umkrempeln. Dennoch wollen sie für die Frauen etwas bewirken. Zumindest, daß ihre Arbeit tatsächlich wahrgenommen und anerkannt wird.

„Eine Dorfhelferin darf keine Kommunikationsschwierigkeiten haben“, sagt die Seminarleiterin. Denn es ist auch und vor allem ein sozialer Beruf. Eine Familie wird nicht nur durch das Essen zusammengehalten, das ihr vorgesetzt wird. Die Unterhaltung während des Mittagessens mit den schweigsamen Töchtern, ein bißchen Necken, ein bißchen Nachfragen: Wie war's in der Schule? — damit hat Heike Fischbeck keine Probleme:

„Wenn man aus der Landwirtschaft kommt, weiß man, wie das läuft, und findet Gesprächsstoff. Manche Themen schneidet man besser nicht an, zum Beispiel Ausländer. Da haben wir uns schon richtig gestritten.“

Nicht für Gotteslohn

Dorfhelferin: Ein klassischer Frauenberuf. „Wenn Männer die Ausbildung in ländlicher Hauswirtschaft mitbringen, können sie kommen. Wahrscheinlich wäre das nur den Familien, in denen sie arbeiten sollen, schwer zu vermitteln“, sagt Christa Göbe. Doch ein männlicher, interessierter Dorfhelfer in spe hat sich dann doch abschrecken lassen. Vielleicht vom Gehalt? Eine 23jährige Dorfhelferin im zweiten Berufsjahr, wie Heike Fischbeck, verdient nach ihrer fünfjährigen Ausbildung knapp über 3.000 Mark brutto.

Ein Rest von Heiligenschein hat sich erhalten: Jahr für Jahr endet die Ausbildung mit einem „Aussendungsgottesdienst“, in dem die Frauen von der Kanzel herunter an ihre Pflicht, dem Nächsten zu dienen, erinnert werden. Doch für Gotteslohn zu arbeiten, dazu sind sie nicht mehr bereit: Laut forderten die Frauen in der Kirche bessere Arbeitsbedingungen und ein höheres Gehalt. Diemut Roether