Heute Eintopf

■ Charlottenburgs Theater-Lesebuch

Er suchte die Worte und fand sie fast immer, und er sprach ein fast pedantisch richtiges Deutsch: Im August 1967 inszenierte Samuel Beckett am Schiller-Theater das „Endspiel“. Michael Haerdters Bericht darüber, ein Beitrag von achtzehn in dem reich illustrierten Band „Charlottenburger Welttheater“, ist schon Grund genug, alle Vorbehalte gegen Almanache – wörtlich: „Rastplatz für Kamele“ – auszuräumen. Als „Almanach für Theaterfreunde“ nämlich versteht sich das von Reiner Matzker herausgegebene Lesebuch. Die Aufsätze, Essays, Interviews und Porträts fügen sich zu einem Überblick, der die Geschichte der wichtigsten Bühnen Berlins nahebringt.

Der Anfang war kläglich: Sophie Charlotte, die kunstsinnige Frau des Kurfürsten, läßt 1699 ein hölzernes „Theater zu Lützenburg“ errichten. Sechs Jahre lang, bis zu ihrem Tod, hat sie ihre Freude daran. 1723 dann, das Dorf Lütze nebst Lustschloß heißt inzwischen nach ihr Charlottenburg, wird das Theater abgerissen – die Vorlieben des Soldatenkönigs waren anderer Natur.

Erst der Große Fritz baute wieder ein Schloßtheater, das sich im vorigen Jahrhundert als Stadttheater etablierte. 1902 endete es als Möbelspeicher. In diesen Jahren entstanden dann die großen Häuser: das Theater des Westens, das Schiller-Theater und die Oper. Später kamen Bühnen hinzu, auf denen Reinhardt und Piscator ihre Erfolge feierten – das Theater am Nollendorfplatz und die Theater am Ku'damm. Im Berliner Westen trafen sich im Romanischen Cafe und im Cafe Größenwahn all die, welche uns lieb und teuer sind: Toller, H. Mann, Roth, Walden, Benn – und BB wohnte gleich ums Eck. Welttheater eben.

Was daraus geworden ist – unter den Nazis, nach dem Krieg und in jüngster Zeit – davon berichten unter anderem die Erinnerungen von Wolfgang Spier, das Interview mit Martin Held, eine Geburtstagsrede auf Boleslaw Barlog und eine Polemik von Hermann-Josef Fohsel.

Der kommt zu dem bitteren Resumee: „Das (heutige) Charlottenburger Theater ist wie ein Pichelsteiner Eintopf, der zu lange in der Sonne gestanden hat, immer noch schmackhaft, wenn auch leicht säuerlich, aber noch zu retten.“ Was zu retten wäre – in diesem Buch ist es nachzulesen.

Stephan Schurr

R. Matzker (Hg.): „Charlottenburger Welttheater“. Verlag Das Arsenal 1993, 190S., 26,80DM